"Wir machen gar nicht 'Hotel Savoy', und ich hoffe auch, dass die Zuschauer und die Kritiker das auch verstehen und sich nicht vorbereiten, 'Hotel Savoy' zu sehen und dann enttäuscht sind", sagt der junge Regisseur im Gespräch mit der APA. "Ich habe sehr lange gesucht, was ich machen könnte, und habe gemerkt, dass ich immer bei den Nachkriegs- bzw. Vorkriegsautoren lande: Lorca, Kafka, Brecht, Joseph Roth. Von ihm habe ich dann fast alles gelesen und habe dann gesagt: Die dramaturgische Anlage, den ganzen Kontinent in ein Hotel zu verlagern, finde ich interessant. Lasst uns doch 'Hotel Europa' machen! Joseph Roth wird uns ganz bestimmt genug Material dafür geben."

Und so wurde eine Grundstruktur mit Geschichten, Figuren, Motiven und Bildern angereichert, die teilweise von Joseph Roth stammen, bei denen aber auch das vierköpfige Ensemble die Autorschaft übernommen hat. Den Roten Faden liefert ein Gefühl der Nutzlosigkeit und der Einsamkeit, der die Menschen verbindet. "Der Basistext, den wir jetzt für alles haben, ist eher 'Der Antichrist' von Joseph Roth (ein 1934 erschienener kulturphilosophischer Essay, Anm.), eine schöne kleine Ausgrabung mit einer ungewöhnlichen Konstruktion: Alles, was falsch läuft, nennt er Antichrist."

Auch heute laufe vieles falsch, und die Parallelen zur Zwischenkriegszeit seien unübersehbar, sagt Nunes, der 1983 als Sohn einer Chilenin und eines Portugiesen in Tübingen geboren wurde und an der renommierten Ernst Busch Schule in Berlin Regie studierte. "Es ist schon interessant, dass es in der k.u.k.-Zeit schon einmal eine Europäische Union gab, dass heute wieder Flüchtlingsströme durch Europa ziehen, dass sich wieder so ein Bürokratiemonster aufgebaut hat. Es gibt viele Mechanismen, die ähnlich sind. Und man kann das Lebensgefühl vergleichen. Damals ist man, ohne es zu ahnen, in den Krieg geraten. Niemand wollte die kommende Katastrophe sehen. Dafür möchte ich ein bisschen die Sinne dafür schärfen. Aber ich möchte die Leute nicht politisch erziehen. Ich bin ja dafür verantwortlich, Kunst zu machen, und dafür muss man verantwortungslos sein", schmunzelt Nunes. "Man muss die Dinge spielen lassen."

An der heutigen Politik vermisst er Begriffe wie Großzügigkeit und Barmherzigkeit, es gehe vorwiegend um Machtdemonstrationen. "Mit jeder Bombe, die wir über Syrien oder den IS abwerfen, stehen zehn neue Attentäter auf. Wir wissen das und trotzdem machen wir weiter. Wir lernen nicht aus der Geschichte, verschlimmern alles und begeben uns sehenden Auges in Teufelskreise. Man hat immer das Gefühl, Politik ist ein Zigeunertheater, um es mal politisch unkorrekt auszudrücken: Keiner glaubt mehr daran, was die Politiker sagen, und trotzdem lässt man sich davon emotionalisieren." Auch von Angela Merkel: "Wir waren alle kurz in sie verliebt. Ich war überrascht, denn sie hat vorher noch nie Haltung gezeigt, sondern immer nur verwaltet."

Die Parole "Wir schaffen das" sei zwar richtig, werde sich aber letztlich nicht durchsetzen, glaubt Nunes. "Wir sitzen hier in Europa und tun so, als müssten wir uns wie eh und je verteidigen. Dabei wäre es gar kein Problem, eine Million oder zwei Millionen Syrer aufzunehmen. Und jetzt kommt auch noch die Diskussion über unsere Kultur. Wenn ich nicht damit klarkomme, dass bei uns jetzt auch Moscheen stehen, muss ich mich zuerst einmal fragen: Gehe ich überhaupt in die Kirche? Spreche ich denn mit Muslims oder will ich nur gemütlich meine Ruhe haben? Kultur ist Arbeit."

Nunes ist pessimistisch. "Ich bin mir sicher, dass alles den Bach runtergeht. Aber ich muss als Regisseur den Untergang auch nicht unbedingt beschleunigen. Ich kann auch auf die positiven Seiten der Menschen verweisen oder die gute Laune auch einmal hochschießen, damit man noch mal sieht, dass das Leben an sich schon noch eine ziemlich tolle Sache ist."

Und deswegen ist er auch voller Projekte. Im Februar beginnt er an der Komischen Oper Berlin die Proben zu Heinrich Marschners "Der Vampyr", einer "kleinen, gruseligen und herrlichen Oper". Und an der Burg, wo er in den vergangenen Jahren "Einige Nachrichten an das All" von Wolfram Lotz, "Das Geisterhaus" von Isabel Allende und Leo Tolstois "Die Macht der Finsternis" inszeniert hat? "Ich werde hier wieder auftauchen. Denn ich bin wider Erwarten sehr gerne hier. Beim ersten Angebot habe ich noch gezögert, aber als ich den ersten Tag da war, wusste ich: Egal, wie saturiert und gemütlich - es ist eine Stadt zum Theatermachen."