Der Syrien-Krieg, die Situation auf Lampedusa und dann der gewaltsame Tod der Studentin Tugce: Als Clara Luzia an ihrem neuen Album "Here's To Nemesis" arbeitete, beschäftigte sie sich mit sehr dunklen Seiten des Lebens. "Ich dachte mir: Jetzt ist es dann bald vorbei mit der Menschheit." Mit der am 9. Oktober erscheinenden Platte macht sich die Musikerin auf die Suche nach Balance.

"Es war wie schon bei den Alben zuvor die Frage nach dem richtigen Leben im falschen", erläutert Luzia im Gespräch den inhaltlichen Zugang. "Auch die Organisation des menschlichen Zusammenlebens, ganz allgemein." Das habe auch zur Folge, dass sie sich - selbst in einem Liebeslied - stets als politische Songwriterin begreift. "Der Mensch ist einfach ein zoon politikon, von daher tue ich mir schwer, irgendetwas als unpolitisch zu titulieren."

Im Vordergrund steht dieser Aspekt natürlich bei Nummern wie dem zwingenden Opener "Cosmic Bruise", bei dem Luzia mit der Zeile "We are all seeds of the same tree" das Verbindende anspricht. "Wie kann es dann passieren, dass wir uns gegenseitig die Schädel einschlagen? Oder so tun, als wäre irgendwer besser als der andere?" In weiterer Folge gehe es ihr "generell um die Balance, die nicht stimmt. Im Zusammenleben der Menschen, in der Verteilung von Armut und Reichtum, im Umgang von Mensch mit Natur und mit Tier."

Hinsichtlich eines möglichen Ausgleichs zeigt sich Luzia zwar als Realistin, aber ohne dabei zu verzagen. "Ich glaube, dass es Utopie und nicht herstellbar ist. Das ist ja meine Krux, die ich mit Menschen habe: Menschliches Zusammenleben erfordert immer, dass man die Regeln ganz unten ansetzt, nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner - was sehr hart ist. Aber wenn wir nicht mehr nach Utopien streben, wonach denn sonst? Der Traum muss da sein, dass es möglich ist."

"Ein Lied kann Sachen zum Schwingen bringen und etwas in Gang setzen" © KK

Nicht zuletzt deshalb findet sich im Albumtitel Nemesis, die "Göttin der ausgleichenden Gerechtigkeit": "Ich rufe sie an, sie soll es regeln. Ich kann es nicht", schmunzelt Luzia, die auch die Möglichkeiten von Popkultur nicht überbewertet wissen will. "Es gibt keinen direkten Weg von Protestsong zu neuem Gesetz. Aber der Weg muss nicht so ein direkter sein. Ein Lied kann Sachen in einem zum Schwingen bringen und dadurch etwas anderes in Gang setzen." Nicht zuletzt der Song-Contest-Sieg von Conchita Wurst habe das auch gezeigt. "Popkultur kann schon was, wenn man sie lässt."

Und davon ganz abgesehen sieht es die Sängerin als "Pflicht Kunst- und Kulturschaffender, öffentlich Stellung zu beziehen", womit sie die aktuelle Flüchtlingskrise anspricht. "Das heißt nicht, dass ich glaube, damit groß etwas verändern zu können." Aber "Position zu beziehen und den Mund aufzumachen" sei ihrer Ansicht nach notwendig. "Und eben nicht: Hände falten, Goschn halten." Kunst und Kultur werde nicht nur der Unterhaltung willen gemacht, "das kann ich mit einer Daily Soap auch machen".

Bei all diesen politischen Implikationen sei das Album aber nicht aus einem Konzeptgedanken heraus gewachsen. "Die Lieder entstehen laufend, deswegen tue ich mir auch mit einem roten Faden schwer", sinniert Luzia. "Natürlich gibt es aber Themen, die mich immer wieder interessieren." Außerdem wurde "Here's To Nemesis" durch Umbesetzungen in der Band geprägt, was letztlich eine Fokussierung auf "die klassische Gitarre-Bass-Schlagzeug-Sache" zur Folge hatte.

Die Reduktion tut dem Sound von Clara Luzia gut, bringt neue Farben ins Spiel und sorgt für einen offenen Charakter der Stücke. Diesen Schritt habe ihr Umfeld wesentlich geprägt. "Ich habe ja ein ganz, ganz schlechtes Gespür für meine Musik", lacht die Sängerin. "Ich setze immer aufs falsche Pferd. 'Queen of the Wolves', bis heute meine erfolgreichste Single, wollte ich ursprünglich gar nicht am Album ("The Ground Below" von 2009, Anm.) haben. Ich dachte mir, dass es die furchtbarste Nummer ist, die ich je geschrieben habe. Aber seitdem habe ich gelernt: Ich höre manchmal besser auf die anderen."

Die Musikerin  ist mit ihrer Band auch Teil von "Lavant!" am Stadttheater Klagenfurt, das am 8. Oktober Premiere feiert. Sie sei von Regisseur Bernd Liepold-Mosser gefragt worden, ob sie die Musik beisteuern würde. "Ich kannte Lavant nicht, habe aber trotzdem gleich zugesagt, weil ich das immer schon machen wollte." Die Auseinandersetzung mit der Dichterin Christine Lavant sei dann zunächst schwierig gewesen. "Meine erste Reaktion war totale Ablehnung, weil sie sehr offen ihren Schmerz artikuliert. Ich kenne diese emotionalen Plätze, die sie da beschreibt, ich wollte da nicht wieder hin." Das habe sich durch die Probenarbeit geändert. "Die Arbeit mit fremden Texten genoss ich sehr. Ich kann mich als Person sehr zurücknehmen und nur Überbringerin der Botschaft sein. Das ist zur Abwechslung einmal sehr angenehm."

Gespräch: Christoph Griessner (APA)