Er ist Dirigent, Regisseur, Komponist. Er ist auch promovierter Psychologe, puristischer Wagnerianer, berüchtigter Despot, dekadenter Außenseiter, fanatischer Lehrer, imposanter Motorradfahrer, absolutistischer Festivalleiter: Am 28. August wird der "Erlkönig", wie Gustav Kuhn am Heimatort seiner Tiroler Festspiele Erl liebevoll genannt wird, 70 Jahre alt.

Eigenes Festspielhaus

In dem Tiroler Passionsspielort nahe der bayerischen Grenze rief er 1997 seine auf Wagner spezialisierten aber weit darüber hinaus reichenden Festspiele ins Leben, durch prominente Unterstützer, allen voran Unternehmer Hans Peter Haselsteiner, konnte er 2012 sogar ein eigenes Festspielhaus eröffnen. Regie führt der Dirigent hier meist selbst - im Sinne eines durch die Inszenierung möglichst wenig behelligten Opernerlebnisses - und hat auf diese Weise nicht nur alle großen Wagner-Opern produziert, sondern auch den Marathon des "24-Stunden-Ring". Mittlerweile wird das Erfolgskonzept auch in einer Winterausgabe der Festspiele umgesetzt.

Aktuell gehen Erler Festspiel-Produktionen auf China-Tour.  Die Kulissen sind bereits auf dem Weg dahin und sollen im Hafen Tianjin ankommen, der vor Kurzem explodiert ist.

Steile Karriere

1945 im steirischen Turrach geboren und in Salzburg aufgewachsen, waren Kuhns Interessen von Anfang an vielseitig. Neben dem Dirigieren, das er bei Hans Swarovsky, Bruno Maderna und Herbert von Karajan studierte, schloss er auch Psychologie, Psychopathologie und Philosophie ab und schaffte es beim Segeln zum Weltmeistertitel. Seine Dirigentenlaufbahn nahm einen steilen Anstieg und führte ihn an internationale Orchesterpulte - innerhalb weniger Jahre dirigierte er die Philharmoniker in Wien, Berlin, Israel oder London, an den großen Opernhäusern in Wien, München, London, Mailand oder Paris, bei den Festivals in Salzburg oder Glyndebourne. Als Generalmusikdirektor war er in Bonn, als Chefdirigent an der Oper in Rom und als künstlerischer Leiter in Neapel tätig.

Streithansl

Aber auch sein streitbares Außenseitertum kündigte sich rasch an. 1985 überwarf er sich nicht nur mit Karajan, sondern machte mit einer höchst publikumswirksamen Ohrfeige für den Bonner Generalintendanten auf sich aufmerksam. Gegenüber dem klassischen Musikbetrieb gibt er sich heute als Systemkritiker "verrotteter Strukturen" und als Anführer einer musikalischen Gegenelite, deren Schüler, Mitstreiter und Gleichgesinnte sich trotz niedrigster Gagen und despotischen Führungsstils um den Maestro und Opernmacher scharen.

Talente im Kloster

Als Förderer junger Talente tritt er zunächst in seiner im Kloster untergebrachten Lehrwerkstatt Accademia di Montegral bei Lucca in Erscheinung, aber auch bei dem von ihm geleiteten Wettbewerb "Neue Stimmen" sowie bei seinen Orchesterprojekten - neben Erl leitete er bis 2012 auch die Südtiroler Festspiele in Toblach sowie das Haydn-Orchester von Bozen und Trient. Im Salzburger Mozarteum gab er zwischen 2007 und 2011 seine vorweihnachtliche Konzertreihe "Delirium". Programmatischer Partner ist ihm dabei häufig Andreas Schett, Mastermind der "Musicbanda" Franui und dem Plattenlaben col legno, dessen Miteigentümer Kuhn ist.

Auch als Komponist mit Messen, Orchesterwerken und Solostücken sowie als Autor hat sich Kuhn erfolgreich betätigt. Praktisches und Philosophisches über das Musizieren legt er sowohl in Buchform dar ("Aus Liebe zur Musik", Henschel Verlag) - wie als Gastgeber seiner barocken Tafelrunden, die noch nach dem Opern-Vorstellungsende bis in die Morgenstunden andauern dürfen.