Frau Weber, wir lachen gerade herzlich über das kuriose Verkehrszeichen "Alle Richtungen". In welche Richtung geht denn die Kultur in der Steiermark, oder besser sollte sie gehen?

ILSE WEBER: Ich spreche hier für 160 Kunstvereine wie unser Medienkunstlabor und was sich dort ereignet. Überall arbeiten echte Experten, schaffen und bieten interessante, spannende, lebendige Inhalte. Aber die müssen auch adäquat unterstützt werden. Leider schielt die Kulturpolitik vermehrt auf die Nebenwirkungen von Kunst und Kultur.

Die da sind?

WEBER: Immer mehr Bereiche des täglichen Lebens werden wirtschaftlichen Aspekten unterworfen und mit materiellem Konsum verknüpft. In der Kulturpolitik äußert sich dieser Ansatz allein in dem Wort Creative Industries: Alles muss durchökonomisiert und verwertbar sein. Und keiner hinterfragt oder ächtet dieses harte Diktat und die Vereinnahmung der Kulturschaffenden.

Jetzt ist es aber nicht gleich pfui gaga, wenn Kunst auch etwas bringt und nicht nur kostet.

WEBER: Nikolaus Harnoncourt sagt: "Mit wahrer Kunst lässt sich kein Geld verdienen, und wenn doch, dann ist es keine wahre Kunst." Vor Jahren hat das British Art Council mit Studien bewiesen, dass die Wertschöpfung im Kulturbereich, betreffend die Einnahmen und die Beschäftigtenzahl, enorm ist und eine doppelt so schnelle Wachstumsrate wie die Ökonomie insgesamt aufweist. Natürlich hat Kunst diese Wertsteigerung als Nebenwirkung und erfüllt etwa auch soziokulturelle Funktionen.

Was stört Sie dann daran?

WEBER: Dass die Kulturpolitik kunstfeindlich wird, wenn sie Kunst nur auf diese Nebenwirkungen festlegt. Und noch fataler wird es, wenn sie ökonomische Maßstäbe zu Bedingungen von Förderungen macht.

Andererseits ist eine Förderstelle ja kein Bankomat, bei dem ich alljährlich meine mir gefälligst zustehenden Gelder abhebe, oder?

WEBER: Wenn ich jetzt über Subventionen der heimischen Kunstvereine rede, dann rede ich über einen Promillebereich, über Krumen. Dabei haben wir mit 300 Beschäftigten und rund 500.000 Besuchern zusammen in etwa die Größenordnung des Joanneums.

Jammern ist nicht nur der Gruß der Kaufleute, sondern auch der Kulturleute. Worüber wäre es denn lohnenswerter zu diskutieren als über den schnöden Mammon?

WEBER: Über die Wirkungsweise von Kunst. Darüber, dass Kulturarbeit mithilft, die demokratische Gesellschaft am Leben zu erhalten - das ist für mich eine wesentliche Verantwortung, wie wählen gehen. Und darüber, was gute Kulturpolitik ausmacht: Sie erstellt nicht Bedingungen, sondern schafft Möglichkeiten. Damit zum Beispiel auch Initiativen Chancen haben, die sich nicht nach politischen oder ökonomischen Vorgaben richten, sondern vor allem nach den Interessen der Künstler. Es gibt eine Kunst, die frei ist von Zweck, also marktunfähig, sie will auch keinen Markt bedienen und kann nur vom Staat ermöglicht werden.

Nun sagt aber Volkes raue Stimme: "Was brauch ma den Schas?" - "Und das mit mei'm Steuergeld!" - "Die Künstler solln gscheiter was arbeiten!" Was antworten Sie?

WEBER: Genau solche Anwürfe beweisen ja, wie wichtig und sinnvoll es wäre, dass der Staat noch mehr in Bildung, Wissenschaft, Kultur investiert. Dass man den Bürgern die Angst vor Offenheit nimmt, sie zu mehr Aufmerksamkeit einlädt. Viele erfahren ja leider gar nie, wie lustig Denken ist. Kunst liefert die faszinierendsten Mittel, mit denen sich die Gesellschaft selbst reflektiert. Sie macht Unsichtbares sichtbar, schaut auf Ungeschautes. Sie stellt Beziehungen her, bricht Sichtweisen auf, legt offen. Kunst tut dies frei von ökonomischen oder politischen Abhängigkeiten und lässt - anders als Politik, Religion oder Ökonomie - Freiheiten und Pluralitäten zu.

Die Freiheit der Kunst war aus unterschiedlichsten Gründen dennoch immer nur eine relative.

WEBER: Stimmt schon. Hanns Koren hat seinerzeit gesagt: "Die Kunst war die Domestikin von Adel und Kirche." Heute ist sie domestiziert von Konzernen und Märkten. Wenn die aktuellen Diagnosen von Politologen und Soziologen zutreffen, dass die Demokratie zunehmend gefährdet ist von der Dominanz der ökonomischen Rationalität, dann braucht es umso mehr die Kunst als wohl wichtigstes kulturelles Medium, um die Dualitäten von Körper und Geist, Emotion und Ratio zu gewährleisten und entstandene Schieflagen auszubalancieren. Gerade künstlerische Werke zeichnen sich ja dadurch aus, dass sie Gefühl und Verstand, Wahrnehmung und Kognition gleichermaßen ansprechen, dass sie reizen, irritieren, aufregen, erschüttern, aufrütteln, erhellen, hinterfragen . . .

Was raten Ihr Gefühl und Verstand dem Kulturland Steiermark?

WEBER: Dass der Fokus auf Kunst und Kunstproduktion gestellt wird. Dass die Kulturpolitik neben Geld auch viel Zeit und Aufmerksamkeit in die vielen herausragenden Initiativen investieren soll. Dass es regen Diskurs gibt, hohe Partizipation und aktive Medienbegleitung. Und auch, dass Graz achtgeben muss, seinen immensen Ruf als Kulturhauptstadt nicht zu verlieren.

Was tun gegen diesen drohenden Verlust?

WEBER: Weitermachen!

Schönes Schlusswort!

WEBER: Nein, ein schönes Schlusswort wäre, die Menschen einzuladen, Mut und Bereitschaft zur Wahrnehmung mitzubringen. Spaß am Denken zu haben. Sich infizieren zu lassen von der Faszination, die Kunst ausübt. Einfach gesagt: Kunst berührt das Herz und verändert den Kopf.

INTERVIEW: MICHAEL TSCHIDA

Ilse Weber und Reni Hofmüller leiten das esc medien kunst labor in Graz
Ilse Weber und Reni Hofmüller leiten das esc medien kunst labor in Graz © Sabine Hoffmann

REAKTION

HANS GIGACHER reagiert auf das Interview mit Kunstorganisatorin Ilse Weber, das den Auftakt zu unserer Gesprächsreihe über Kultur und Kulturpolitik bildet.

Schriftsteller Hans Gigacher

Lieber Michael Tschida,


in der Strobl-Bäckerei im kärntnerischen Afritz steht über dem Eingang der Spruch: „Brot ist nie hart. Kein Brot – das ist hart“.
Das ist nicht nur die Perspektive eines Bäckers. Ich frag mich, warum mir dieser Spruch eingefallen ist, als ich dein Interview mit Frau Ilse Weber las . . . Vielleicht des „harten Diktates der Ökonomie“ wegen? Vielleicht des Volkes rauer Stimme wegen? Oder der Kunst? Oder der Verdauung des Brotes wegen.
Wir müssen verdauen. Jeder das Seine. Sonst kriegen wir Verdauungsprobleme. Oder es kommt zu Komplikationen. Komplikationen beispielsweise, die entstehen, wenn wir
lesen, wie mit Menschen verfahren wird, die unser Mitgefühl brauchen würden.
Komplikationen, die entstehen, wenn wir lesen, wie politisch unverantwortlich fuhrwerkende Menschen überdrüberfahren über Perspektiven, was, wie und warum überhaupt die Kultur etwas will?
Oder überdrüberfahren über die Frau Weber, weil der rauen Stimme ein Kunstlabor kein Experimentalwertschöpfungsfeld ist, sondern eine „Lavur“ auf kärntnerisch, in die sie am liebsten pinkeln würden. Und zwar in einem gewissen Abstand und im hohen Bogen, weil das jene Kunst ist, die sie verstehen.
Was ist dem „Kulturland Steiermark“ zu raten, fragst du. Dem „Kulturland“? Der „Steiermark“? Wer ist das? Nichts anderes, als eine Bezeichnung einer toten, weil nicht vorhandenen Sache.
„Was ist den Menschen in diesem Land zu raten?“ – das wäre eine brauchbarere Frage. Aber kann einer anonymen Masse von Menschen etwas geraten werden? Rate mal, Michael. Du kannst dir was raten. Ob du diesen Rat befolgst oder nicht, liegt an dir.
Du kannst auch mir was raten. Oder mir mit rauer Volksstimme den Rat auch zurückgeben. Weil ich aber so wenig „Das Volk“ bin wie du – und auch kein Brot, das hart oder weich ist, bleib ich der, den du zu kennen meinst, der aber niemals ich selbst gewesen bin.
„Kunst“ verändert weder das „Herz“, noch den „Kopf“, wie Frau Weber im Interview sagte. Bezeichnungen sind niemals das Bezeichnete selbst. So lange wir nur Bezeichnende sind, nicht aber die Gezeichneten, die so handeln, wie Gezeichnete handeln, so lange werden wir auch an unseren Verdauungsproblemen leiden.
Wenn du jetzt fragen solltest: „Und wie handeln Gezeichnete?“, dann bist du niemals einer gewesen. Dass – beispielsweise – wäre
bezeichnend für dich als Mensch.
„Mensch sein ist nie hart, . . .“

Freundlich grüßt dich,
Hans Gigacher, Graz, am 29. Juli 2015