Herr Bechtolf, Sie sind schon lange mit den Festspielen verbunden, nun gehen Sie erstmals als künstlerischer Leiter in den Sommer. Hat sich der Blick auf die Festspiele mit der Position verändert?

Sven-Eric Bechtolf: Der Blick hat sich der gewandelten Realität angepasst. Es ist ja ein rasch zu begreifender Unterschied, ob man nur für eine Abteilung oder aber plötzlich für ein ganzes Unternehmen verantwortlich ist. Eine gewisse Leichtfüßigkeit kommt einem dann eben abhanden. Andererseits macht mir die neue Aufgabe auch große Freude. Nach der Typenlehre würde das bedeuten, dass ich mich vom Sanguiniker zum Pykniker gewandelt habe. Die sind zwar schwerhüftiger und gedrungen, aber durchaus fröhlich.

Sie stehen heuer gemeinsam mit Helga Rabl-Stadler an der Spitze der Festspiele. Inwiefern funktioniert ihre Arbeitsteilung anders als die bisherige zwischen Intendant und Präsidentin?

Bechtolf: Die Präsidentin und ich bilden das Direktorium. Aufgrund unseres sehr guten, ja freundschaftlich-persönlichen Verhältnisses bedarf es keiner ausgepichten Regularien, die uns daran erinnern, dass wir gleichberechtigt sind. Es bilden sich nach Neigung und Erfahrung gewisse Arbeitsfelder für den einzelnen heraus, aber wir quatschen, unserem Naturell gemäß, dem anderen ungefragt auch in diese herein. Diese "Kultur" des temperamentvollen Miteinanders entspricht uns und zeitigt gute Erfolge.

Mit dem heurigen Motto "Herrschen und Dienen, Macht und Ohnmacht, Unterdrückung und Aufbegehren" geben sich die Festspiele einen politischen, kämpferischen Anstrich. Kann man das im elitären Salzburg tatsächlich einlösen?

Bechtolf: Nicht alles, was politisch ist, ist zwangsläufig kämpferisch. Ich bin ein Skeptiker, kein Revolutionär. Und was bitte ist an Salzburg elitär? Geige auf hohem Niveau spielen zu können - ja, das ist elitär. Aber dem Geigenspiel zu lauschen doch nicht. 50 Prozent unserer Karten sind unter 100 Euro zu haben - man muss also auch keiner finanziellen Elite angehören, um den Violinisten zu erleben. Und schließlich - wenn Sie sich einer Herzoperation unterziehen, werden Sie gewiss nicht einem Operateur, der einer Elite angehört, die Krankentüre weisen, um seinem Assistenten auch mal eine Chance zu geben. Es gibt positive Eliten. Das Wort zu inkriminieren halte ich für bigott.

Im Opernprogramm wird stark auf Wiederaufnahmen gesetzt. Ist das eine ideologische Frage oder eine rein finanzielle? Alexander Pereira hatte ja das Dogma der Neuproduktionen, und auch Markus Hinterhäuser hat bereits ausgeschlossen, Produktionen aus der Zeit seiner Vorgänger zu übernehmen.

Bechtolf: Das ist keine ideologische Angelegenheit, sondern eine Frage, die sich aus wirtschaftlichen und künstlerischen Gründen stellt. Dass Hinterhäuser meine Produktionen nicht wieder aufnimmt, ist doch nachvollziehbar: Er muss in seiner ersten Spielzeit seine eigene Handschrift zeigen. Ich bin mir aber sicher, dass er dann in Folge seine eigenen Sachen sehr wohl wieder aufnehmen wird. So wie es übrigens in Salzburg - bis auf die drei Pereira-Jahre - immer gewesen ist.

Eröffnet wird der Opernreigen mit Wolfgang Rihms 1992 uraufgeführter "Eroberung von Mexiko". Die Wiener Staatsoper hat mit "The Tempest" gerade ebenfalls eine "bewährte" zeitgenössische Oper nachgespielt. Kann es gelingen, einen modernen Opernkanon zu schaffen?

Bechtolf: Pierre Boulez hat richtigerweise einmal bemerkt, dass es nicht so sehr ein Verdienst für die neue Musik darstelle, eine Uraufführung zu produzieren, sondern die einmal entstandenen Werke regelmäßig aufzuführen. Dem kann man sich anschließen. Ich persönlich halte die "Eroberung von Mexiko" für ein Stück, mit dem man auch ungeübte Hörer für zeitgenössische Musik gewinnen kann. Es ist theatralisch, packend, suggestiv. Gleiches gilt für "The Tempest" von Thomas Ades, von dem wir 2016 eine Uraufführung in Salzburg zeigen werden. Ich glaube, dass jeder, der die Aufführung in Wien gesehen hat, den Eindruck gewinnen konnte, dass diese Musik bleiben wird. Ich denke daher, dass es einen modernen Opernkanon geben wird. Wir spielen heute an allen Opernhäusern der Welt immer wieder etwa 350 Werke, die 100 bis 300 Jahre alt sind. Wie viele andere Stücke sind in dieser Zeit aber tatsächlich entstanden? Sind die nur zufälligerweise vergessen? Bestimmte Arbeiten setzten sich jedenfalls - gerechterweise oder nicht - durch. So wird es auch mit der neuen Musik geschehen.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass "Endspiel" nun 2016 kommen wird?

Bechtolf: Ich wünsche mir, dass das "Endspiel" von Kurtag überhaupt kommt. Wann das ist, ist eigentlich zweitrangig. Dass ein Komponist wie György Kurtag in seinem Alter das souveräne Recht einfordert, darüber zu entscheiden, ob und wann er das Werk für aufführungsreif hält, ist selbstverständlich.

Mit dem "Figaro" vervollständigen Sie Ihre Da-Ponte-Trilogie, die 2016 komplett gezeigt wird. Wie wichtig ist es für Sie dabei, einen Bogen erkennbar zu machen?

Bechtolf: Überhaupt nicht. Was diese drei Stücke verbindet, wird auch ohne bewusste Bemühungen darum überdeutlich. Alle drei Opern setzten sich mit Liebe und Sexualität unter sehr verschiedenen Perspektiven auseinander. "Cosi" ist die Abrechnung mit der didaktischen Desillusionierung durch die Aufklärung, "Don Giovanni" ist die bange Ahnung der sozialen Sprengkraft unserer Triebnatur, und "Figaro" macht die Bindungs- und Versöhnungskräfte der Sexualität und Liebe in einer utopischen Volte deutlich. Das ist freilich nur meine Lesart - aber dass es sich um Weltuntersuchungen auf intimstem Gebiet handelt, ist wohl unbestritten.

Brecht/Weills "Dreigroschenoper" kommt gleich zweimal - konzertiert von HK Gruber und in einer neuen Fassung von Martin Lowe. Warum benötigt gerade dieses Stück eine Erneuerung?

Bechtolf: Warum gerade dieses Stück nicht - würde die Gegenfrage lauten, wenn ich es auf "benötigt" und "gerade" angelegt hätte. Dieses Stück braucht keine Erneuerung. Wir spielen in Adoration für den Komponisten mit seinem Material. Das ist ein ganz unschuldiger Vorgang, der weder Nachahmer auf den Plan rufen, noch Schule machen will. Wir wollen nur spielen. Mehr nicht.

Wie sehr schmerzt Sie der Wegfall des "Young Directors Project"?

Bechtolf: Wenn ich es durch ein anderes Projekt hätte ersetzten können, nicht so sehr. Ich hätte gerne das "Old Directors Project" gegründet. Jung ist ja heute jeder. Aber Meisterschaft ist eine geradezu verpönte Sache geworden. Die exemplarisch zu zeigen, hätte mir, als völlig aus der Zeit Gefallenem, viel Freude gemacht.

Mit dem "Jedermann", nur zwei echten Schauspiel-Neuproduktionen und der zum Schauspiel hinzugezählten musikalischen Neufassung der "Dreigroschenoper" ist das Schauspiel-Programm heuer so schmal wie selten zuvor. Eine einmalige Angelegenheit, oder wird man auch 2016 damit rechnen müssen?

Bechtolf: Fragen Sie mich, oder antworten Sie sich bereits selbst? Wieso finden Sie, dass die "Dreigroschenoper" nicht ins Schauspiel gehört? Wo wird sie den üblicherweise gespielt? Doch wohl am Theater! Und was meinen Sie denn, warum ich nur vier und nicht acht Produktionen mache? Aus Faulheit? Wann kämpft die Presse endlich mit uns für die langfristige Sicherstellung der öffentlichen Zuwendungen für die Festspiele, statt uns scheinheilige Fragen zu stellen?

Die Festspiele haben für 2015/16 etwas mehr Bundeszuschuss gewährt bekommen als zuvor. Hat das den Finanzdruck gemildert?

Bechtolf: Wir haben Spielräume erhalten. Ohne das wäre es nicht gegangen. Aber ich warne davor, sich nun wieder einlullen zu lassen. Solange die Tariflohnerhöhung und die Inflation nicht ausgeglichen werden, solange es keine Leistungsvereinbarung zwischen Politik und Institutionen gibt, so lange treiben die großen Dampfer der Kultur auf den Untergang zu.

Die Fragen stellten Wolfgang Huber-Lang und Maria Scholl/APA