Rund um Ihre Bestellung zum neuen Jury-Vorsitzenden hat es einen kleinen Wirbel gegeben: Daniela Strigl trat aus der Jury zurück, weil ihr der Vorsitz versprochen worden sei. Sie haben sich selbst gleich auch auf die Seite von Frau Strigl gestellt. Wie haben Sie diese Tage in Erinnerung?

HUBERT WINKELS: Das ist ungut gelaufen. Ich war einfach nicht informiert darüber, wie Daniela Strigl abgesagt wurde. Ich wurde mit der Einladung konfrontiert, als ob das eine gut abgehangene und nach Gesprächen mit allen Seiten beschlossene Frage an mich wäre. Ich habe zu spät mitgekriegt, dass dem eine Düpierung von Frau Strigl vorausgegangen ist und ich habe das sehr bedauert. Dieser Übergang wurde nicht gut gehandelt. Und ich war auch gerade selber in der Überlegung, ob ich überhaupt zusagen soll.

Warum?

WINKELS: Weil im Raum stand, dass gewisse Dinge, die ich nicht geändert haben wollte, geändert worden wären. Zum Beispiel habe ich darauf bestanden, dass wir Juroren die Texte weiter selber aussuchen und dass wir die Texte vorher kennen. All das stand in Frage. Aber nach und nach hat sich das dann so eingeruckelt, dass ich dachte: Das kann ich jetzt so mittragen mit den neuen alten Regeln.

Gibt es Änderungen?

WINKELS: Die, die stattfinden, sind auf einer Ebene, wo sie nicht so relevant sind. Wer das Bühnenbild macht, zum Beispiel. Das ist offensichtlich ein finanziell hoher Posten, und wenn da gespart wird, macht mir das nichts aus. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, wo ich dann da sitze und mir unter Umständen sage: Oh Gott, wie schrecklich ist das denn jetzt?



Werden Sie als Jury-Vorsitzender anders agieren als vorher?

WINKELS: Nein. Was ich mir allerdings überlege und was uns allen gut täte, wäre ein etwas rascheres Reagieren aufeinander, also weniger Monologe und mehr kurzer Gedankenaustausch zwischen den Juroren. Das würde die Sache beleben. Das Problem dabei ist, dass man niemanden, der einen Gedanken entfalten will, daran hindern soll. Das ist ja auch das Besondere, dass man das in Klagenfurt kann. Da muss man abwägen. Zumal ich ja auch jemand bin, der auch gerne lang redet - ich muss also bei mir selbst anfangen (lacht).

Autoren werden im Vorfeld gerne gefragt, warum sie sich das antun. Warum tun Juroren sich das an?

WINKELS: Das kann man gar nicht vergleichen. Der Autor hat einen fertigen Text und keine Handlungsvariationen vor Ort. Insofern hat er es besser. Er hat es aber natürlich auch schwerer, weil er anschließend einer unmittelbaren Kritik ausgesetzt ist. Das ist seine Last. Beim Juror ist es insofern schwerer, als er den Text, den er spricht, spontan in der Situation erfinden muss.

Unter den Zuhörern, in Zeitungen oder in sozialen Medien wird auch die Jury ordentlich kritisiert.

WINKELS: Insofern haben beide diesen Druck – und man hört nie auf, das so zu empfinden.

Auf Twitter wird während der Lesungen und Diskussionen intensiv mitdiskutiert. Lesen Sie das?

WINKELS: Tatsächlich lese ich das fast gar nicht. Ich habe jetzt einmal die ganzen Twitter-Meldungen zu der von mir nominierten Autorin Ronja von Rönne gelesen, da wurde mir schlecht, was da für Beschimpfungsorgien stattfinden und dann habe ich schon keine Lust mehr, das zu lesen. (Anmerkung: Ronja von Rönne schrieb im Frühjahr in einem Artikel für „Die Welt“, der Feminismus „ekelt“ sie an – eine Empörungswelle folgte).

Man hat das Gefühl, die Texte sind in den letzten Jahren besser geworden. Sehen Sie das auch so?

WINKELS: Ja, ich war ja jetzt nicht nur die letzten fünf Jahre als Juror hier, sondern auch schon seit Mitte der 1980er-Jahre als Beobachter. Es gibt immer bessere und schlechtere Jahre, aber ich finde, im Durchschnitt hat es sich auf einem mittleren bis hohem Niveau stabilisiert. Was aber auch auffällt, sind zwischendurch ganz außergewöhnlich gute Texte wie zum Beispiel Olga Martynova, Maja Haderlap und Katja Petrowskaja. Super, was sich hier gezeigt hat.

Man kann also in Klagenfurt auch noch Autoren entdecken?

WINKELS: Ja klar, die meisten Leute, die hier lesen, sind ja nur einer ganz kleinen Gruppe bekannt. Eigentlich ist Klagenfurt der Ort zum Durchbrechen. Ich war letzte Woche mit Sibylle Lewitscharoff essen, und sie hat gesagt: Für sie sei das der Schlüssel gewesen, damit wurde sie zu einer öffentlich anerkannten Schriftstellerin. 



Der Bachmann-Preis wurde ja schon totgesagt. Muss es ihn deshalb weiter geben?

WINKELS: Ja, das ist ein Basis-Grund. Darüber hinaus ist die öffentliche Verhandlung von Literatur in den Köpfen und Reden einer gebildeten, kenntnisreichen Öffentlichkeit, wie es Kritiker darstellen, einmalig. Das macht das Format so einmalig. Ich bin sicher: Wenn der ORF oder Klagenfurt so dumm wären, das aus der Hand zu geben, würde dieses Format so ähnlich anderswo fortgeführt werden. Ich habe gerade vorgeschlagen, dass man das als Werbung für österreichische Literatur exportiert.

Wohin?

WINKELS: Nach Leipzig. Dort wird gerade diskutiert, ob Österreich Gastland bei der Buchmesse werden soll, und ich habedem Buchmessen-Direktor vorgeschlagen, dass man das probeweise exportieren müsste, um zu zeigen: So etwas Tolles haben wir.

Zum Abschluss bitte noch ein Literaturtipp für unsere Leser.

WINKELS: Ralf Rothmanns durchaus problematischer diskussionswürdiger Roman „Im Frühling sterben“ über seinen Vater in den letzten Kriegsmonaten.

INTERVIEW: MARIANNE FISCHER