Und ganz plötzlich ist da nur mehr Günther Jauch. Binnen vier Jahren traten drei der vier großen Entertainer Deutschlands ab: Erst Thomas Gottschalk (2011), der zumindest noch als Teilzeit-Schelm ab und an auftaucht, dann Harald Schmidt (2014) und gestern Abend - aus heiterem Himmel -Stefan Raab. Der Kölner hat sich entschlossen mit Jahresende seine "Fernsehschuhe" an den Nagel zu hängen – im Alter von erst 48 Jahren.

Das Angebot der mehrjährigen Vertragsverlängerung von ProSieben lehnte er ab. 2011 soll ihm der Sender 185 Millionen Euro für fünf Jahre bezahlt haben. Das Angebot wird diesmal wohl nicht viel schlechter gewesen sein, aber Raab hat genug und der Münchner Sender ab sofort ein riesiges Problem. ProSieben ist Raab, aber was ist ProSieben ohne Raab?

Dass aus dem gelernten Fleischhauer und Jus-Studium-Abbrecher ein TV-Genie, Sänger, Komponist und Unternehmer mit 100 Mitarbeitern werden sollte, war vor 25 Jahren nicht abzusehen. 1990 machte er sich als Produzent von Werbejingles selbstständig. Durch den dienstlichen Besuch beim Musiksender VIVA stolperte er in das Format "Vivasion", dessen Moderation er dann zwischen 1993 und 1998 innehatte. Das scharfe Mundwerk brachte seinen Stern zum Leuchten und die mittelprächtige Stimme landete mit Ballermann-Titeln wie "Börti Vogts" (1994) die ersten Hits.  

Platz 5 beim Song Contest 2000 mit
Platz 5 beim Song Contest 2000 mit "Wadde hadde dudde da?" © AP



Als sich ProSieben 1999 den Mann mit den schlechtest sitzenden Jeans Deutschlands schnappte, wurde er schnell zum Star. "tv total" moderiert Raab seit damals ununterbrochen und seit 2001 viermal pro Woche – keine Late Night Show bei unseren Nachbarn läuft länger (2180 Folgen). In den ersten Jahren gab es Marktanteile bei den 14- bis 29-Jährigen von bis zu 60 Prozent. Die Show zu sehen war für viele Junge Pflicht und Superstars gaben sich dort die Klinke in die Hand. Heute ist "tv total" ein längst vergilbtes Überbleibsel aus seinen Karriereanfängen – versteckt im Nachtprogramm und vom Publikum fast vergessen.

Aber egal, die Show diente irgendwann nur mehr dafür, Raabs schräge Show-Events zu bewerben: Wok-WM, Turmspringen, Eisfußball, Stock Car Crash Challenge, Autoball, Bundesvision Song Contest u.v.a. – sowie das in 18 Länder verkaufte Glanzstück - "Schlag den Raab". Darin wetteifert Raab himself in Geschicklichkeits-, Sport- und Ratespielen gegen auftrainierte Kandidaten zwischen 24 und 45 Jahren – und bleibt zumeist Sieger. Wie es ihn unaufhörlich nach Erfolg dürstet, ist in "Schlag den Raab" sechsmal pro Jahr zu sehen. Seine immerwährende Besessenheit davon, besser zu sein als alle anderen, machte ihn zwar nicht jedermann sympathisch, aber über die Jahre zollten ihm auch die größten Ätzer Respekt.

Mit Lena Meyer-Landrut gewann er den Song Contest 2010
Mit Lena Meyer-Landrut gewann er den Song Contest 2010 © AP

Spätestens mit der "Erfindung" von Lena Meyer-Landrut, die aus seiner Castingshow hervorging und für Deutschland 2010 erstmals seit 1982 den Song Contest gewann, war Deutschland in ihn verliebt. Spätestens da war für die meisten vergessen, wie viele medienunerfahrene Verbal-Stolperer er auf seine „tv total“-Bühne zerrte und von Deutschland verlachen ließ – so etwa Lisa Loch oder Regina „Maschendrahtzaun“ Zindler. Er selbst gab von sich privat nie etwas preis. Mehr als, dass Raab mit seiner Frau Nike und ihren beiden Töchtern in einer Kölner Villa lebt, ist nicht bekannt. Dennoch war Raab über 15 Jahre ein König Midas des Showbusiness - was er bei ProSieben angriff, wurde zu Gold – abgesehen von seinem Versuch als Polittalkmaster in „Absolute Mehrheit“ 2012.

Raab mag nicht den feinsinnigsten Humor haben und auch nicht so ein Sir sein, wie etwa Jauch, Gottschalk oder Schmidt, aber dieser nimmermüde Erfinder absurd-lustiger Nonsense-Shows wird dem deutschen Fernsehen - im Gegensatz etwa zu „Wetten, dass ..?“ - richtig fehlen. "Schlag den Raab" ist die letzte Samstagabendshow, die Jung und Alt vor dem Fernseher vereint und die vor allem unter jüngeren Menschen auch noch am Montag noch für Gesprächsstoff sorgt. Auch die Wok-WM, das Turmspringen oder die Stock Car Challenge wurde bei den Unter-30-Jährigen oftmals der Party Samstagnacht vorgezogen.

Was dem Publikum auch 2016 erhalten bleiben wird  ist ein verjüngter "Musikantenstadl", "Deutschland sucht den Superstar", "Dancing Stars" und "Let’s Dance" . . .  Stefan Raab wird nicht zu ersetzen sein. Was ProSieben noch etwas mehr Kopfzerbrechen bereiten dürfte als seinen Fans. Denn für mehr als Joko & Klaas, die Simpsons und Sitcoms in Dauerschleife steht der Sender ab 2016 nicht mehr.