Herr Lepage, wird es in Wien irgendeinen Unterschied geben zu den Aufführungen Ihrer Inszenierung beim Quebec Festival und an der New Yorker Metropolitan Opera im Jahr 2012?

ROBERT LEPAGE: Von der Konzeption her ist es natürlich die selbe Produktion. Der große Unterschied liegt in der Besetzung. Eine einzige Sängerin, Audrey Luna als Ariel, war schon damals dabei, der Rest kommt von hier. Das macht es anders und auch interessant. Ich mag die Arbeit mit Sängern und die Konfrontation mit ihren eigenen Vorstellungen. Es ist also nicht einfach "cut and paste" (lacht), sondern es ist auch eine neue Begegnung mit den Figuren. Es ist ja eine sehr neue Oper und kann durchaus weitere Untersuchungen bei der Umsetzung vertragen. Ich nutze die Gelegenheit also auch, um noch tiefer zu graben - zumal ja der Komponist Thomas Adès auch hier ist, weil er selbst dirigiert. Die Möglichkeit, sich mit dem Komponisten auszutauschen hat man ja nicht so häufig - mit Beethoven kann man das nicht...

Das Libretto von Meredith Oakes wurde verschiedentlich kritisiert. Was entgegen Sie den Kritikern?

LEPAGE: Ich glaube, jeder der Shakespeare adaptiert, setzt sich dem Vorwurf aus, ihn zu vereinfachen. Das ist ganz natürlich. Aber man kann ihn nicht einfach auf die Opernbühne stellen. Man kann Shakespeare nicht singen! Man muss ihn bearbeiten. Picasso hat gesagt: "Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit besser begreifen lässt." Um also loyal zu Shakespeare zu sein muss man ihn betrügen. Das ist ein Paradox, aber man muss es befolgen. Wenn man nur das Libretto liest, mag man vielleicht denken, dass es eine zu große Simplifizierung ist, aber wenn man die Musik dazu hört, das spürt man die magische Kraft dieser Worte. "Der Sturm" schreit ja geradezu nach einer Oper. Prosperos Zauber läuft ja über Musik. Caliban sagt, dass die Insel voll von Geräuschen, Tönen und süßen Weisen sei. Und es ist auch kein Zufall, dass die Figuren Italiener sind. In unserer Interpretation ist Prosperos Zauberkästchen die Mailänder Scala. Das Stück wurde ja um 1608 geschrieben, dieselbe Zeit, in der Monteverdi seine ersten Opern komponiert hat. Das ist in mein Konzept eingeflossen.

Hatten Sie keine Angst, wie die Staatsoper reagieren würde, wenn Sie in Wien ausgerechnet die Scala auf die Bühne bringen?

LEPAGE (lacht): Es war von Anfang an meine Idee, und wir wussten, dass das von den Proportionen und der Tradition hervorragend hier ins Haus passen würde. Wenn es ein Publikum gibt, das Barockoper versteht, dann findet sich das in Wien.

Ist es auch eine besondere technische Herausforderung, ihre Produktion in ein Haus einzupassen, dem ja sonst ein eher ein konservativer denn ein innovativer Ruf vorauseilt?

LEPAGE: Ich will meinem jetzigen Chef (Staatsopern-Direktor Dominique Meyer, Anm.) ja nicht schöntun, aber wir sind unglaublich herzlich empfangen worden. Man setzt alles daran, die Arbeit so gut wie möglich umzusetzen. Der Chor ist extrem kooperativ. Jeder scheint die Produktion zu lieben und unterstützt uns, wo er kann. Ich kenne mich mit der Tradition der Staatsoper nicht so aus, aber man muss ehrlich sagen, dass es nicht einfach ist, eine wirklich gute zeitgenössische Oper zu finden.

Bei den Wiener Festwochen war von Ihnen zuletzt vor zwei Jahren "Playing Cards 1 - Pik" zu sehen. Mittlerweile gibt es Teil 2, "Herz". Wann kommen Treff und Karo dran?

LEPAGE: Es ist ein teures Langzeit-Projekt. Erst nachdem "Herz" erfolgreich getourt ist, werden wir die letzten beiden Teile angehen können. Aber in der Zwischenzeit gibt es einige andere Projekte.

Ich war verblüfft, dass bereits am 14. Juli in Toronto mit "887" Ihr nächstes Projekt herauskommt, Ende Juli hat dann schon Ihre Inszenierung der Kaija Saariaho-Oper "L'amour de loin" in Quebec Premiere. Wie machen Sie das?

LEPAGE (schmunzelt): Ich bin halt gut organisiert und werde hervorragend unterstützt. Beide Projekte haben bereits zweijährige Vorlaufzeit. Wenn ich von Wien nach Quebec zurückkomme, starten wir die Proben für die MET-Koproduktion von "L'amour de loin", dann verschwinde ich für zehn Tage nach Toronto, um dort zu spielen, und komme für die Endproben wieder zurück.

Um was geht es in "887"?

Lepage: Es ist eine One-Man-Show. Ich mache so etwas alle paar Jahre einmal. Diesmal geht es um Erinnerung und einen alternden Schauspieler, also über mich (lacht). Es ist eine sehr persönliche Produktion, die versucht zu verstehen, wie Erinnerung funktioniert. Ich gehe dabei zu ganz frühen Erinnerungen in den 1960er Jahren zurück, als ich in Quebec City in einem Wohnhaus mit der Adresse Avenue Murray 887 gelebt habe. Es ist meine Kindheit und Jugend, aber auch eine Zeit, in der die Unabhängigkeitsbewegung Quebec begonnen hat. Diese politischen Vorgänge werden durch die Augen eines Kindes gesehen.

Werden Sie damit auch auf Tour gehen?

LEPAGE: Ja, etwa im August zum Edinburgh Festival.

Das heißt, wir werden Sie damit vielleicht auch in Wien sehen?

LEPAGE: Gut möglich, vielleicht im nächsten Jahr.

INTERVIEW: WOLFGANG HUBER-LANG/APA