Warum haben Sie sich entschlossen, die erste Aufführung der "Turangalila-Symphonie" von Olivier Messiaen in der Geschichte des Musikvereins für Steiermark zu dirigieren?

DIRK KAFTAN: Weil ich finde, dass das 20. Jahrhundert in jedem Fall zu kurz kommt und weil das ein Stück ist, das das Eintauchen in das 20. Jahrhundert verhältnismäßig leicht macht. Weil es ein Stück ist, dass mit Oper und "Tristan" zu tun hat und mit diesem Stoff sehr meditativ umgeht.

Muss sich ein konservativer Hörer, der auch ein fast siebzig Jahre altes Werk noch für modern hält, vor der "Turangalila-Symphonie" fürchten?

KAFTAN: Nein, absolut nicht. Ich glaube, dass sie selbst für Menschen, die vielleicht Probleme damit haben, sich in den Sog hineinzuwerfen, eine Opulenz und Pracht hat, die für sich spricht. Außerdem werde ich nach dem Klavierkonzert von Mozart noch vor der Pause mit dem gesamten Orchester eine kurze Einführung in das Stück geben.

Was erwartet einen Zuhörer, der nichts über das Werk weiß?

KAFTAN: Es ist, verkürzt gesagt, die musikalische Auflösung von Zeit und Raum. Es ist eine mehrdimensionale Reise in transzendente Zustände, die ihren Ursprung aber im Leben haben – ähnlich wie im zweiten Akt von Richard Wagners "Tristan und Isolde". In der "Turangalila-Symphonie" geschieht das mit einer sehr ausgeklügelten Technik, die mathematische Grundlagen hat. Gepaart ist das mit einer Ekstase, die aus dem Erleben dieses Verlassens der Umwelt entsteht.

Spielt nicht auch die Liebe eine große Rolle?

KAFTAN: Absolut. "Turangalila" ist ein zusammengesetztes Wort aus dem Sanskrit und beschreibt das Zusammenspiel von Zeit und Liebe und das Widersprüchliche zwischen diesen beiden Begriffen, die sich in dem Stück nach und nach miteinander verbinden.

Um welche Liebe geht es?

KAFTAN: Es geht um den großen Begriff des sich selbst Verlassens und die Seelenzustände, die man dabei erlebt.

Ist das Stück für das Orchester sehr anspruchsvoll?

KAFTAN: Technisch ist das schon eine große Herausforderung – auch für den Dirigenten. Aber man darf nicht hören, dass es schwer ist. Es muss große Leichtigkeit haben und aus dem Überwinden der technischen Probleme emotionale Kraft gewinnen.

Das rund 75 Minuten dauernde Werk verlangt auch Ondes Martenot, die Sie wohl nicht aus den Reihen der Grazer Philharmoniker besetzen können.

KAFTAN: Dafür kommt mit Thomas Bloch ein Spezialist aus Frankreich. Ondes Martenot waren das erste wirklich bahnbrechende elektronische Instrument, quasi ein Vorläufer des Synthesizers, angelehnt an die menschliche Stimme, gepaart mit Sinusklängen. Faszinierend für die Komponisten der Zeit war, dass dieser Klang das Körperliche hinter sich lässt. Die Ondes Martenot hauchen Messiaens Musik an den entscheidenden Stellen etwas Übersinnliches und Nicht-Materielles ein – sie werden aber meist in den Gesamtklang integriert.

Eröffnen Sie den Abend mit dem 21. Klavierkonzert von Mozart, um dem dann auch bei Messiaen tätigen Pianisten Kit Armstrong die Möglichkeit zu geben, als Solist zu glänzen?

KAFTAN: Mozart und Messiaen passen sehr gut zusammen. Die besondere Leichtigkeit und Reinheit der Tonart C-Dur des Klavierkonzerts eignet sich sehr gut als Ausgangspunkt, um danach in die Welt der "Turangalila-Symphonie" einzutauchen.



Wie beurteilen Sie als Chefdirigent der Grazer Philharmoniker deren Zusammenarbeit mit dem Musikverein für Steiermark?

KAFTAN: Sie ist gut und wird immer besser, weil wir ja gemeinsam die Philharmonischen Soiréen als neue Konzertreihe auf die Beine gestellt haben und für die übernächste Saison noch eine weitere Intensivierung unserer Zusammenarbeit planen. Ich wünsche mir, dass das Philharmonische Orchester als Bindeglied zwischen der Oper und dem Musikverein wahrgenommen wird.

INTERVIEW: ERNST NAREDI-RAINER