Einen Blick in die Zukunft - oder besser: in alle "Zukünfte" der Welt - wagt der diesjährige Biennale-Kurator Okwui Enwezor ab 9. Mai in Venedig. Nach einem ersten Rundgang durch die Sammelausstellung im Arsenale kann man sich des Eindrucks nicht erwehren: Rosig sind diese künstlerischen Utopien in "All the World's Futures" wirklich nicht. Die Düsternis lauert bedrohlich in jedem Winkel.

Bereits im ersten Saal des Arsenale trifft die Besucher am Mittwochvormittag, dem ersten Tag der Previews, die geballte Wucht an Untergangsszenarien, die paradigmatisch für die Schau stehen: An den Wänden flimmern - in oberflächlicher Fröhlichkeit - die bunten Neon-Installationen Bruce Naumans aus den 1970er-Jahren. Da schält sich ein gelbes "EAT" (Essen) aus dem blauen "DEATH" (Tod), die Buchstaben von "WAR" (Krieg) leuchten immer nur abwechselnd auf. Wie in einem Karussell drehen sich in schneller Folge "Liebe", "Hass", "Freude", "Schmerz", "Leben", "Tod".

Der Boden des Saals ist unterdessen der eindringlichen Arbeit "Nympheas" des algerischen Künstlers Adel Abdessemed gewidmet. Jeweils rund ein Dutzend Schwerter hat er an einem Punkt in den Boden gerammt, in ihrer über den Saal verteilten Fülle wirken die eisernen Skulpturen wie ein winterlicher Sträucherwald ohne Blätter und verströmen nichts als die Aura von Tod und Verderben.

"Liveness: On epic duration", nennt Enwezor jenen "Filter", den der über die Schau im Arsenale gelegt hat. Was ist in einer temporären Ausstellung von Dauer? Welche Lebendigkeit entfalten bereits kanonisierte Werke in einer neuen Konstellation? "Es wird eine Dramatisierung des Ausstellungsraums als ein fortlaufendes, sich entfaltendes und unaufhörliches Live-Event", verspricht der Kurator im begleitenden Text.

Hat man den Schauder des ersten Saals überwunden, hebt das Gruselkabinett jedoch erst so richtig an: In einer Ecke stößt man auf "Off Minor" des im Vorjahr verstorbenen US-Künstlers Terry Adkins: eine mit goldenen Spitzen gespickte Metallwalze, unter die man lieber nicht geraten möchte. Weiter geht es mit Melvin Edwards Wandskulpturen, die aus ineinander verknoteten bäuerlichen Arbeitsgeräten wie Mistgabeln und Hacken bestehen. Sie tragen klingende Namen wie "Maintain Control" oder "Botanical".

Nicht weniger gespenstisch ist die multimediale Installation "JingLing Chronical Theater Project" des chinesischen Künstlers Qiu Zhijie: Von der Decke hängen mehrstöckige, chinesische Lampen, in die kleine Bildschirme mit Schreckensszenen eingefasst sind, auf einem Baumstumpf rollt unaufhörlich eine hölzerne Kugel, an der Wand ein Regal mit unzähligen düster bemalten venezianischen Masken. Einen gläsernen Tisch ziert ein ebenso gläserner Hirschkopf, unaufhörlich blitzt und kracht es. Hat man den Raum verlassen, trifft man auf die 1965 entstandene "Cannone Semovente" des Italieners Pino Pascali.

Bevor sich die Schau dem Menschen, seiner Bewegung und Sesshaftigkeit widmet, finden sich noch dem bisher Gezeigten ästhetisch verwandte Werke wie etwa die miteinander verschmolzenen Kettensägen der Italienerin Monica Bonvicini ("Latent Combustion") oder die gezeichneten Vernichtungsmaschinen von Abu Bakarr Mansaray aus Sierra Leone. Katharina Grosse bespielt einen ganzen Saal mit einem giftgrünen Trümmerfeld (ein Flugzeugabsturz drängt sich auf). Einen solchen sowie weitere apokalyptische Szenen hat die Chinesin Fei Cao als Miniaturen nachgebaut, die sich gegenüber der Vitrinen auf der großen Leinwand als Filmszenen wiederfinden.

Erstmals mit Menschen bekommt man es in den mit "Passengers" betitelten Fotografien von Chris Marker zu tun, der mit Alltagsporträts aus der U-Bahn vertreten ist. Von der Decke schwebt ein digitaler Teppich mit ständig wechselnden Passfotos - womit die scheinbar flüchtigen, aber doch auf Fotopapier gebannten U-Bahn-Fotos von deutlich mehr Beständigkeit sind als die für Ausweiszwecke angefertigten Brustbilder.

Sozialkritisch-futuristisch legt es unterdessen die argentinische Künstlerin Mika Rottenberg in ihrem Film "NoNoseKnows" an: Eine Frau, deren Nase immer länger wird, niest Nudelgerichte, während in abgeschlossenen Räumen mit Rauch gefüllte Riesenseifenblasen tanzen. Dann werden wieder in einem dunklen Raum Perlen per Hand aus Muscheln gekratzt, die wiederum in einer Fabrik von zahlreichen asiatischen Frauen aussortiert werden. Die nackten Füße, die eine der Frauen in einen Perlenkorb steckt, tauchen unter dem Tisch der Nasen-Frau auf. Verlässt man den dunklen Raum, erwarten einen zahllose Perlenketten auf einem hell erleuchteten Verkaufstisch.

Dass alle "Zukünfte" natürlich auch jene umfassen, die bereits in der Vergangenheit entworfen wurden und nun schon einige Jahrzehnte Zeit hatten, sich zu realisieren, stört keineswegs. Im Gegenteil: Durch die Präsentation von Arbeiten bereits verstorbener Künstler wie etwa Harun Farocki (dessen gesammelte Filme gleichzeitig auf Bildschirmen und hintereinander auf der Leinwand laufen) oder Walker Evans, die übergangslos mit Werken von Jungen wie Fei Cao oder Mika Rottenberg verschwimmen, hat der aus Nigeria stammende Kunstexperte ein einnehmendes wie beängstigendes Panoptikum der (Alb-)träume des späten 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts geschaffen. Damit wird er seinem Anspruch, auch einen historischen, die Biennale selbst reflektierenden Filter über die Schau zu legen, mehr als gerecht.