Das stand keineswegs auf dem Programm: Ein Gastspiel des Wiener Burgtheaters am Nationaltheater Budapest hat  einen Eklat ausgelöst. Der Schauspieler Martin Reinke verlas am Ende von Jan Bosses Inszenierung von Tschechows "Die Möwe" eine Erklärung, in der er die rechtsnationale ungarische Regierung kritisierte. Theaterdirektor Attila Vidnyanszky verlangt nun eine Erklärung von Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann.

"Schwere Situation des Volkes"

Das Gastspiel fand im Rahmen des Madach International Theatre Meeting (MITEM) statt, zu dem u.a. auch das Mailänder Piccolo Teatro, das Moskauer Künstlertheater oder das Nationaltheater Bukarest eingeladen wurden. Der Deutsche Reinke, der in "Die Möwe" Jewgeni Sergejewitsch Dorn verkörpert, äußerte in seiner überraschenden Erklärung Sorgen um die "schwere Situation" des ungarischen Volks und der Kultur und beklagte, dass sich das Land unter Ministerpräsident Viktor Orban "immer mehr vom Geist der Demokratie und von Europa entfernt".

Brisante Vorgeschichte

Vonseiten des Burgtheaters hieß es gegenüber der APA, dass man ursprünglich im Rahmen eines Publikumsgesprächs mit Jan Bosse mit den Besuchern in Dialog treten wollte. Nachdem Bosse nicht anreiste, sei es den Schauspielerin wichtig gewesen, ihre Besorgnis betreffend der aktuellen Entwicklung anderweitig auszudrücken.

Das Gastspiel hat ohnehin eine brisante Vorgeschichte: Attila Vidnyanszky (51) war 2013 auf den wegen Regimekritik in Ungnade gefallenen Nationaltheater-Intendanten Robert Alföldi gefolgt. Als seinen Anspruch formulierte der als konservativer und anti-modernistischer Theatermacher beschriebene neue Direktor die Positionierung des Nationaltheaters als ein "mit internationalem Maßstab gemessenes bedeutendes Theater, das die ganze Nation als ihr eigenes Theater betrachtet".

Etliche Proteste

In der Folge gab es Proteste von zahlreichen europäischen Kulturschaffenden gegen die als politisch motiviert wahrgenommene Besetzung, darunter auch vom damaligen Burgtheater-Direktor Matthias Hartmann, der etwa eine Gastspiel-Einladung des Ungarischen Nationaltheaters ablehnte. Nach Platzen des Finanzskandals am Burgtheater verzichtete das Ungarische Nationaltheater seinerseits auf eine Teilnahme am "Ungarn-Festival" am Burgtheater im März 2014.