Vereinzelte Buhrufe gegen den Dirigenten ließen die Zustimmung für Marc Minkowski und sein Orchester abrupt in die Höhe schnellen, beim Erscheinen des Regieteams aber gab es keinen Widerspruch gegen die vehemente Missfallenskundgebung.

Der Grazer Felix Breisach (54), TV-Bildregisseur vieler Opernaufzeichnungen, hat 2010 in Winterthur erstmals selbst eine Inszenierung gestaltet. Als zweite eigene Regiearbeit wagte er sich jetzt im Theater an der Wien an Mozarts "Le nozze di Figaro". Beseelt von der Grundidee, es anders machen zu wollen, verlegt er das Geschehen in eine Nervenheilanstalt, in der ein Chefarzt als Gruppentherapie in einer als Bühne dienenden Glasbox "Figaros Hochzeit" aufführen lässt.

Zweite Spielebene

Das gibt ihm die Möglichkeit, eine zweite Ebene einzuziehen, die eigentliche Spielhandlung um szenische Kommentare der nicht unmittelbar Beteiligten zu erweitern. Das vielfältige szenische Treiben im zweistöckigen Sanatorium (Bühnenbild: Jens Kilian) beschert aber keine neuen psychologischen Einsichten.

Der Chefarzt selbst übernimmt den Part des Grafen Almaviva und allmählich vermischen sich die beiden Identitäten, bis ihm im Finale des zweiten Akts die Fäden entgleiten und das Rollenspiel aus dem Ruder gerät.

Nach der Pause folgt eine so bei Mozart, seinem Librettisten Lorenzo da Ponte und dessen Vorbild Beaumarchais nicht vorhandene Verschwörung aller vier Frauen gegen den Grafen, der schließlich im Finale, weit vom Happy End entfernt, als Düpierter übrig bleibt. Zuvor aber hat Breisach in der Bettenlandschaft, die ihm als Gartenersatz dient, eine heillose Verwirrung angerichtet, die seinen ursprünglichen Ansatz völlig torpediert.

Immerhin: Wenn er im Schlussbild nochmals bekräftigt, dass sich die Gräfin offen dem Pagen Cherubino zuwendet, schlägt er eine Brücke zum dritten Teil der Beaumarchais-Trilogie, der ab 8. Mai mit "La mère coupable" von Darius Milhaud folgen wird.

Auf der Bühne des Theaters an der Wien agiert ein homogenes, aber nicht außerordentliches Ensemble. Stéphane Degout gestaltet mit markigem Bariton einen sehr herrischen Grafen Almaviva, dessen Gattin die Sopranistin Anett Fritsch, die diese Rolle im Sommer auch bei den Salzburger Festspielen übernehmen wird, sehr jugendliche Züge verleiht. In seinem Vortrag sehr am Wort orientiert, singt Alex Esposito mit kernigem Bariton den Figaro, Emoke Baráth lässt als Susanna immer wieder lyrische Qualitäten aufblitzen. Ingeborg Gillebo bleibt vokal als Cherubino eher blass, während mit Gan-ya Ben-Gur Akselrod die Barbarina zu gewichtig besetzt wirkt. Marcellina (Helene Schneiderman) und Basilio (Sunnyboy Dladla) dürfen, obwohl sie über die nötigen stimmlichen Voraussetzungen verfügen, ihre Arien im vierten Akt nicht singen. Routiniert stimmt Peter Kálmán als meist in ein Hundemagazin vertiefter Bartolo seine Rachearie an. Der Arnold Schoenberg Chor kommt erst im dritten Akt zum Einsatz, weil zuvor die Solisten seinen Part übernehmen.

Seidenweiche Streicher

Unter Marc Minkowski, der nicht auf Tempojagd geht und in der ersten Cherubino-Arie fast die Zeit stehen lässt, warten Les Musiciens du Louvre mit seidenweichem Streicherglanz, kultivierten Holzbläsersoli, einigen martialischen Blechbläsereinwürfen, fabelhafter Durchsichtigkeit des elastischen, schlanken Klangbilds, subtil ausgefeilter Artikulation und bestechender Phrasierung auf. Dass sich im "Figaro" Abgründe auftun, führt nicht die Regie, sondern das Orchester vor.

ERNST NAREDI-RAINER