Das nordwestliche Eck der Parkanlage an der Grenze zum 20. Wiener Gemeindebezirk dient Widrich als Garten jenes schicken Wiener Palais, in dem der Regisseur seinen ersten Langspielfilm seit 15 Jahren ("Heller als der Mond", 2000) ansiedelt. Laut Produktionsfirma soll es ein Mix aus Zeitreise, romantische Komödie und Mystery-Thriller werden. "Der Film handelt von einem jungen Mann, der im Wien der Gegenwart das Familienunternehmen übernimmt - und das Problem hat, dass plötzlich all seine Vorfahren auftauchen, bis auf einen, der verschwunden bleibt", erzählt Widrich, für seinen Kurzfilm "Copy Shop" 2001 Oscar-nominiert, im APA-Gespräch anlässlich eines Setbesuchs. "Das Ganze entwickelt sich zu einer Detektiv-, Kriminal-, aber auch Liebesgeschichte."

Auf einem Steiger (Hubarbeitsbühne, Anm.) blickt der 47-jährige Salzburger Richtung Parkmauer durch den Kamerasucher, auf ebener Erde reihen sich die LKW und ist, geschützt vor Wind und Licht, eine kleine Feuerstelle aufgebaut. Wie zuvor am Naschmarkt entstehen im Augarten lediglich die Bilder, die sich beim Blick aus einem der vielen Fenster des Hauses offenbaren.

Der Großteil der laut Produzent Alexander Dumreicher-Ivanceanu mit 6,7 Millionen Euro budgetierten Koproduktion zwischen der AMOUR FOU Vienna, AMOUR FOU Luxembourg und der niederländischen KeyFilm entsteht dann ab Mitte März in Studios in Luxemburg und Südtirol, wo Widrich mithilfe der Ausstatterin Christina Schaffer ("Das Mädchen mit dem Perlenohrring") das verwinkelte Palais zum Leben erwecken will. "Das Haus wird immer voller, die Generationen fangen an, die Dinge umzudekorieren, gleichzeitig kommen auch die alten Werte wieder", erläutert Widrich, der das Konzept seit sieben Jahren entwickelt. "Mich reizt, dass es eine lebende Rückblende ist und dass es mit Filmgeschichte arbeitet, weil die Leute ja auch ihre Zeit mitbringen und ihre Art, gefilmt zu werden."

Dabei, "in einem begrenzten Raum eine Geschichte des 20. Jahrhunderts zu erzählen", soll nicht zuletzt Christian Berger, 2010 nominiert für seine Kameraarbeit bei Michael Hanekes "Das weiße Band", helfen. Dessen entwickelte Beleuchtungs- und Spiegeltechnik "Cine Reflect Lighting System" sei ideal in beengten Räumen. "Herausforderung wird sein, diese Geschichte, die in einer Nacht spielt, in sieben Wochen Dreh so flüssig hinzukriegen, dass man glaubt, es ist nur eine Nacht", sagt Kameramann Berger, "und auch die Veränderung dieses Hauses hinzubekommen, das im Laufe der Geschichte immer älter wird."

Mit einem klaren formalen Vorsatz geht Berger, der zuletzt mit Angelina Jolie und Brad Pitt auf Malta das Ehedrama "By the Sea" drehte, aber dennoch nicht an den Film heran. "Virgil Widrich ist ein Meister der Filmgeschichte, der bestimmt viel zitieren will, auch im Licht - da wird viel auf uns zu kommen", sagt der gebürtige Tiroler, der bereits seit drei Jahren in das Projekt eingebunden ist.

Ein Filmemacher findet sich dabei schon im Grundkonzept: "Ich fand immer schon, dass diese Geschichte eigentlich eine Luis-Bunuel-Idee ist", schmunzelt Widrich, der sich im Laufe des sieben Jahre andauernden Schreibprozesses schwer damit tat, die "Zeitreise" einzugrenzen und die Handlung auf 100 Minuten zu verdichten. Abhilfe schuf Bunuels Drehbuchautor Jean-Claude Carriere, der schon Michael Hanekes "Das weiße Band" eingekürzt hat und Widrich die vergangenen zwei Jahre als dramaturgischer Berater zur Seite stand. Die Zusammenarbeit lief so gut, dass die beiden gemeinsam Carrieres ersten Animationsfilm entwickelt haben, der im Anschluss entstehen soll.

Animationen oder gar Zombies darf man in "Die Nacht der tausend Stunden" hingegen nicht erwarten. "Es ist mehr so, wie wenn die verstorbene Urgroßmutter plötzlich bei der Tür hereinkommt und sagt: 'Servus, ich bin wieder da'", erzählt Film- und Burgtheaterschauspieler Laurence Rupp, der die Titelfigur Philip, den Spross der Großindustriellenfamilie Ullich, verkörpert. An seiner Seite sind u.a. Elisabeth Rath, Linde Prelog und Udo Samel zu sehen. Philip ist es, der "dramaturgisch betrachtet zum Detektiv wird: Er muss herauszufinden, was da mit ihm passiert." Was freundlich startet, steigert sich zu einem wirren Trip in die eigene Familienvergangenheit, im Laufe dessen sich sämtliche Verwandten in Philips Leben einmischen.

"Meine ursprüngliche Idee war die des Jüngsten Gerichts, wo all die Toten auf die Welt zurückkommen und gerichtet werden, das habe ich schon als Kind erzählt bekommen", sagt Widrich. "Ich hab mich immer gefragt: Wenn all die Toten wieder da sind, was reden die eigentlich miteinander?" Gehören diese Toten dann auch noch einer Familie an, kommen dadurch viele Geheimnisse zutage, "weil alle da sind, die was bezeugen oder widerlegen können". Bis 8. Mai soll noch gedreht werden, im Frühjahr 2016 will der Thimfilm-Verleih das Ergebnis dann in die österreichischen Kinos bringen.

(Die Gespräche führte Angelika Prawda/APA)