Der Name klingt fast wie ein Hohn, aber er passt in eine Welt, in der nur noch wenig ist, wie es scheint: Zwergflusspferd. Es ist ein Koloss der Gleichgültigkeit, mampfendamUfer eines Teiches stehend oder darin badend, aber vorwiegend lethargisch, teilnahmslos, desinteressiert, vom Aussterben bedroht und noch für einige Zeit haltlos in das Leben gestellt.

Diese Haltlosigkeit teilt das mächtige Tier mit dem, der es pflegt. Julian heißt er, 22 Jahre alt ist er, das Studium der Veterinärmedizin betreibt er, an einer der wohl größten Schwellen des Lebens rennt er sich seinen Kopf und seine Gedanken wund. Zu alt,umnoch jung zu sein, zu irritiert, zu unentschlossen, um die Jugendjahre mit dem Erwachsensein zu tauschen – wie ein neues Hemd, das man einfach überstreift, trotz Übergröße.

Trennungsgeschichte

In seinem neuen Werk „Selbstporträt mit Flusspferd“ spielt Arno Geiger all jene dichterischen Qualitäten aus, die auch seine früheren Bücher auszeichneten. Es sind Durchschnittsmenschen, denen sein Augenmerk, seine immens präzise Beobachtungsgabe gilt und deren Innenwelt er, Schritt für Schritt, Schicht für Schicht erforscht. Großen Meistern gleich, meißelt der 46-jährige Vorarlberger keine Figuren in den Stein, er befreit sie daraus, gibt ihnen schon nach wenigen Sätzen Gestalt, Glaubwürdigkeit und Präsenz,als würden sie, wie von selbst, dem Buch entsteigen.

Arno Geiger. Selbstporträt mit Flusspferd. Hanser. 288 Seiten, 20,50 Euro.

Allen voran sein Protagonist Julian, der als Ich-Erzähler in einer Rückschau noch einmal eintaucht in die Erinnerungen an die erste große Liebe. Aber nicht die Beziehungsgeschichte beschäftigt ihn primär, sondern die weitreichende Konsequenz der Trennung, die einstmals soscheinbar leicht vollzogen wurde. Durch einen Freund erhält Julian einen Gelegenheitsjob. Er soll sich einige Wochen lang um ein Zwergflusspferd kümmern, das ein Wiener Professor, dem Tod näher als dem Leben, zur Hege übernahm. Julian, der in Phasen umfassender Verzweiflung meint, sich nie mehr verlieben zu können, irrt – alsbald findet er sich an der Seite der Tochter des Hausherrn wieder.

Pure Dichtkunst

Auch dieses Glück hat ein Ablaufdatum. Aber allein die Passagen, in denen Arno Geiger die Momente der anfänglichen Liebe beschreibt, des Schwebens in einer eigenen Zeit in der Zeit, genügen,umsich vomSitz zu erheben: Suggestionskraft, Poesie, auch Selbstironie in höchster Vollendung. Eine Sprachkomposition, bei der kein Wort zu viel und keines zu wenig ist, als furioser Teil eines durch seine magische Schlichtheit restlos vereinnahmenden, soghaften Gesamtkunstwerks über eine große kleine große Welt.

Ist das nun ein Entwicklungsoder Bildungsroman oder, wie Geiger selbst sagt, eine Anknüpfung an die „Quester Legends“, Werke über Initiations- und Übergangsrituale also, mit Parzival an der Spitze und Kafkas Entwurzelten am Ende? Egal. Die Gegenwartsliteratur ist um ein Romanjuwel reicher. Nennen wir es, zeitgemäß, die Leiden des jungen Wärters.

WERNER KRAUSE