Ein Trend sei in der am 5. Februar beginnenden 65. Berlinale auszumachen: "Es kommt einem ein bisschen so vor, dass die Filmemacher und -macherinnen mehr versuchen der Wahrheit näher zu kommen, als die Medien, die dazu angetan wären, das täglich zu tun." Das sagte der Direktor der Internationalen Filmfestspiele Berlin, Dieter Kosslick, vor der Auslandspresse in Berlin.

Und weil es am heutigen 27. Jänner genau 70 Jahre sind, dass das KZ Auschwitz befreit wurde, nannte Kosslick als ersten Film "The Memory of Justice", eine siebenstündige, digitale Weltpremiere der Kriegsverbrecher-Dokumentation von Marcel Ophüls: "Nicht nur über die Nürnberger Prozesse, auch über das Vergessen." Ophüls wird in diesem Jahr die Berlinale-Kamera für sein Lebenswerk erhalten.

Just in der Sektion "Kulinarisches Kino" wird sich ein Film mit dem KZ Auschwitz befassen: Über Menschen, die den Hunger zu überwinden suchten, indem sie sich die besten Speisen der Welt vorstellten. "Ein großartig gemachter Film über ein Thema, das man sich nicht vorstellen kann", so Festivaldirektor Kosslick.

Indigenes Kino

Als weiteres "generelles Thema" der Filmfestspiele nannte er indigenes Kino. Dabei steht Lateinamerika im Fokus des diesjährigen Programms. Erstmals läuft ein guatemaltekischer Film auf der Berlinale, sogar im Wettbewerb: "Ixanul" von Jayro Bustamente. Ein dokumentarisches Essay von Patricio Guzman ("Der Perlmuttknopf") beschäftigt sich mit den Ureinwohnern Chiles zur Zeit der Militärdiktatur Pinochets, laut Kosslick "ein unglaublicher Film". Was indigenes Kino betrifft, gibt sich der Festivalchef selbstkritisch: "Wir hätten gerne Filme, die sie machen, nicht, die wir wollen. Darauf wollen wir langsam Rücksicht nehmen."

Ein weiterer chilenischer Film, der ebenfalls im Wettbewerb läuft, "El Club", hat die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche zum Thema. "Diese katholischen Priester müssen ja entsorgt werden, und dieser Film beschäftigt sich damit", sagte Dieter Kosslick. "Ich hoffe, der Papst kommt vorbei und mischt diese Buben auf."

Frauen

Das Thema Frauen wird ebenfalls ein Schwerpunkt der kommenden Berlinale sein: Das fängt schon beim Eröffnungsfilm "Nobody Wants the Night" der spanischen Regisseurin Isabel Coixet (Kosslick: "Eine großartige Filmemacherin"), an: "Ein ganz toller Film mit starken Frauen und starken Bildern", so der Festivalchef. Juliette Binoche spielt darin eine der Frauen, die ihren Männern, Polarforschern, in die Antarktis nachreisen. "Ein schöner Eröffnungsfilm, auf keinen Fall ein Experimentalfilm, man versteht ihn", so Kosslick. Und wenn man will, auch ein indigener Film, weil er sich mit den Inuit beschäftigt. Mit dem Eröffnungsfilm wird zudem die neue Dolby-Atmos-Anlage in Berlin eingeweiht.

Die polnische Regisseurin Malgorzata Szumowska zeigt in "Body" ein gesellschaftliches Phänomen auf: "Magersucht und Spiritismus auf der Folie von Polen." Kosslick nannte noch weitere Regisseurinnen: Eine hat sich des Themas Frauen in Albanien angenommen, eine andere hat einen Film über Martin Luther King gedreht. Schließlich wird noch der neue Film von Margarethe von Trotta zu sehen sein.

Persönlicher Tipp

Kosslicks persönlicher Tipp: Der Wettbewerbsfilm "Eisenstein in Guanajuato" von Peter Greenaway. "Verpassen Sie den Film über das Herz des europäischen Kinos oder auch des Weltkinos, über Sergej Eisenstein, nicht", forderte der Berlinale-Direktor auf. Kritik an der Auswahl der Streifen lässt ihn kalt: "Kritik an der Berlinale gibt es seit 65 Jahren. Mein Kurzkommentar: Schnarch."

Österreich ist bei der diesjährigen Berlinale in überschaubarer Zahl vertreten: In der Sektion Panorama laufen "Der letzte Sommer der Reichen" von Peter Kern und "Homesick" von Jakob M. Erwa, in der Perspektive Deutsches Kino von Karl Markovics und "Über die Jahre" von Nikolaus Geyrhalter. "Of Stains, Scrap & Tires" von Sebastian Brameshuber und "The" von Billy Roisz und Dieter Kovacic sind bei den Berlinale Shorts vertreten und "Nelly" von Chris Raiber läuft im Kurzfilmwettbewerb Generation 14plus.