Zugegeben, es mag angesichts der furchtbaren Anschläge in Paris schleuklapprig erscheinen. Aber jetzt, da Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ auch in deutschsprachiger Version vorliegt, ist es an der Zeit, sich auch darauf zu konzentrieren, was denn Frankreichs hassgeliebter Skandalautor nun tatsächlich zu Papier gebracht hat.
Was also bleibt von der „literarischen Bombe“, die da gezündet wurde, wie der „Spiegel“ restlos aufgeregt vermeldete? Bestenfalls ein harmloser verbaler Querschläger, den bis vor Kurzem in der Tat recht visionslosen und apathischen westlichen Politikern gewidmet.
Wo bleibt der „gespenstische Albtraum“, den dieses angeblich so „bösartige, infame Werk“ bescheren soll? Er weicht einer mitunter einlullenden Anhäufung literarisch-philosophischer Betrachtungen. Pointiert, bissig und sarkastisch ist der Autor, wenn es um reale Zeitbefunde geht.
Wo bleibt das vermeintliche Futter, das Houellebecq den Rechtsradikalen liefert? Nirgendwo. Die verstehen bei allfälliger Lektüre ohnehin nur Bahnhof.

Vorab-Hysterie

Aber blenden wir kurz noch etwas weiter zurück. Vor rund 50 Jahren erschien in Frankreich der Roman „Heerlager der Heiligen“ des katholischen Dichters Jean Raspail. „Barbaren“ aus der Dritten Welt fallen in Frankreich ein; die Grande Nation siecht geistig und moralisch vor sich hin, die islamische Armada hat bei der Machtübernahme leichtes Spiel. Das Buch wurde, damals berechtigt, als Hirngespinst abgetan.
Gewiss, die Zeiten haben sich dramatisch geändert, aber bei Houellebecq reichte vor Monaten allein schon das Gerücht, er plane, ein angeblich ungeheuerlich polemisches und islamfeindliches Buch zu veröffentlichen, um sich medial in täglich steigender Hysterie zu überbieten.

Viel Lärm um wenig

Die tatsächliche Kenntnis des Buches wäre da nur ein Störfaktor gewesen. Und jetzt? Was ist, was bleibt? Vor allem dies: Wie schon in früheren Werken des Nihilisten viel Lärm um relativ wenig. Die Eckdaten zum Buch dürften mittlerweile ja geläufig sein. Houellebecqs Blick nach vorne führt ins Jahr 2022. Die politische Lage in Frankreich eskaliert, ein Bürgerkrieg zwischen militanten Rechten und Islamisten droht.
Durch ein Bündnis der zerbröselten bürgerlichen Parteien und der Sozialisten, die einen weiteren Vormarsch von Marine Le Pen verhindern wollen, wird der Anführer der Bruderschaft der Muslime, Mohammed Ben Abbes, zum neuen mächtigsten Mann gekürt. Aber er erweist sich trotz einiger Reformen im Bildungsbereich und bei den Bekleidungsvorschriften der Frauen als reichlich gemäßigt.
Aber: Reicht diese Spekulation, an der Houllebecq im Verlauf der Geschichte sein ohnehin nicht allzu großes Interesse verliert, tatsächlich aus, um ihr höchsten Empörungsfaktor zu attestieren?

Rabenvater

Zumal hier eine literarische Grundregel völlig außer Acht gelassen wird. Jeder Autor setzt Gedankenkinder in die Welt. Ob er ihnen auch ein fürsorglicher Vater ist, obliegt alleine seiner Entscheidung. Houellebecq zählt zur Kategorie der Rabenväter, der nur selten Anteilnahme an den von ihm in die Welt gesetzten Figuren zeigt. Sie trotten als Außenseiter dahin, mit ihnen auch die Sätze. Vorwiegend dazu da, um, mit Oswald Spengler als Bruder im Geiste, mit der Literaturklampfe in der Hand den Untergang des Abendlandes zu besingen. Aber auch das sind nur Nebengeräusche.

Lebenszweck

Denn im Zentrum des Buches steht der Geisteswissenschaftler François, 44 Jahre alt, der seinen Lebenszweck darin sieht, erstens das Werk des einstigen Zeremonienmeisters der Dekadenz, Joris-Karl Huysmans, bis ins hinterste Kapitel-Eck tiefzudeuteln, und zweitens seine eigenen Lenden nicht erlahmen zu lassen. Um es mit dem Autor lapidar zu sagen: „einigen Geschlechtsverkehr stattfinden zu lassen“.
Wohlan. Exkurs folgt auf Sexkurs, die französische Dichtergarde der vergangenen zwei Jahrhunderte marschiert fast geschlossen auf, beim geistigen Schlagabtausch lässt sich der dezent lebensüberdrüssige Kopf-Schlurf auch durch Explosionen und Schüsse in Nahzonen kaum aus der Ruhe bringen. Halbfreiheit, Gleichgültigkeit, Biederleichkeit – auch eine Variante.

Blanker Zynismus

Diese „Unterwerfung“ ist eine ziemliche Tortour de France, weitgehend frei von Polemik, als Satire mit zu lahmer Feder ausgefochten. Die vom Autor angepeilte Ironie ergibt sich erst am Schluss wirklich zu erkennen. Sein Gelehrter überlegt, zum Islam zu konvertieren, um seinen zwischenzeitlich verlorenen Job an der Sorbonne wieder zu erhalten. Frei von Interesse an der Glaubenslehre, aber voll Neugier, wie es denn wirklich mit der Polygamie stehe. Dank seines höheren Standes werden ihm mindestens drei junge, hübsche Frauen avisiert. Und da gibt es, Fiktion hin, Romanfiguren her, für den öffentlich so gerne polternden Macho Houellebecq samt geradem, aber wohl etwas kleinerem Michel keinerlei Halten mehr. Überlaufen, rasch. – Terrible, echt wahr.
Nein, der eigentliche Skandal spielt sich jetzt in deutschen Buchhandlung ab. Auf Mega-Plakaten wird für das Buch geworben: „Brandaktuell“ sei es. Das nennt man wahren Zynismus.