Haben Sie "Die tote Stadt" von Erich Wolfgang Korngold auf den Spielplan der Grazer Oper gehievt?

DIRK KAFTAN: Nein, das war schon länger geplant; ich war natürlich hellauf beglückt, als ich von diesen Plänen erfahren habe.

Warum?

KAFTAN: Generell interessiert mich diese Zeit, in der die neue Musik schon im Entstehen ist, aber die Romantik noch Fragen offen gelassen hat, dieser Übergang zwischen Epochen und Welten. „Die tote Stadt“ ist einerseits ein Kammerstück, in dem es um innere Prozesse geht, um Psychoanalyse und Traum, und andererseits ist sie fast eine Grand Opéra, die Großes und Bildhaftes verlangt.

Korngold verlangt eine große Orchesterbesetzung und erntete den Vorwurf, seine Oper sei überinstrumentiert.

KAFTAN: Das finde ich nicht. Je länger man sich mit dem Stück befasst, desto mehr erkennt man die Notwendigkeit einer jeden Farbe darin und wie gut das gemacht ist. Wenn man dieses Stück einstudiert, ist eine der Hauptaufgaben das Bändigen von Klang und Masse und das Vermeiden des pauschalen Klischees eines spätromantischen Sumpfes. In den Momenten, in denen die Figuren ganz bei sich und mit ihren Widersprüchen allein sind, sprengt die Musik die Grenze zur Tonalität. Diesen Spiegel der Seelenzustände finde ich faszinierend.

Haben wir es mit einem begleitenden, wissenden oder kommentierenden Orchester zu tun?

KAFTAN: Es ist ein wissendes Orchester, das die Seelenzustände der Protagonisten mitträgt und sie nicht kommentiert. „Die tote Stadt“ ist meisterhaft instrumentiert, stellt aber extreme Herausforderungen an die Musiker.

Das gilt wohl noch mehr für den Interpreten des Paul, den Tenor.

KAFTAN: Das ist eine Partie, die ein gewisses Volumen verlangt, aber auch Zartheit und Leichtigkeit, vor allem sehr viel Geschmeidigkeit und Wandlungsfähigkeit. Die Tessitur ist unangenehm und Paul hat sehr viel zu singen. Man darf aber nicht vergessen, dass die Instrumente dieser Zeit noch nicht so viel Volumen entfaltet haben wie heute.

Ist die weibliche Hauptrolle der Marietta und Marie auch so schwierig?

KAFTAN: Das ist auch eine Riesenpartie, aber sie ist sängerfreundlicher komponiert.

Auch der Bariton schlüpft als Frank und Fritz in zwei Rollen.

KAFTAN: Eine sehr schöne lyrische Partie und auch wieder so eine Figur, die ihre Gestalt ändert und unterschiedliche Funktionen hat. Bester Freund und Rivale, erotischer Katalysator, eine fast unheimliche Schicksalsfigur. Das ist ja neu in der Operngeschichte, dass eine Figur so viele Gesichter und Facetten zeigt, aber trotzdem mit einem Sänger besetzt ist.

Hört man in der "Toten Stadt" schon den späteren Filmkomponisten Korngold, der fünf Mal für den Oscar nominiert wurde und ihn zwei Mal gewonnen hat?

KAFTAN: Ja. Korngold hat ja die ganze amerikanische Filmmusik ins Rollen gebracht und sein Einfluss reicht bis zu John Williams.


"Die tote Stadt" sollte ursprünglich "Der Triumph des Lebens" heißen. Viele Regisseure inszenieren aber den Schluss genau als Gegenteil davon. Wofür entscheidet sich Johannes Erath in Graz?

KAFTAN: Ich halte den Schluss der Oper für etwas unentschlossen. Es ist fast so, als ob man an den Anfang zurückkommt. So etwas Ähnliches geschieht bei uns auf der Bühne. Der Schluss erzählt davon, wie schön es sein könnte, aber es ist ein sehr einsamer Moment. Es endet wie ein französischer Film, die nicht wie die deutschen Filme deutlich mit Ja oder Nein zu Ende gehen.

Könnten die großen Publikumserfolge der 20er-Jahre des 20. Jahrhunderts, die Opern von Korngold, Franz Schreker oder Alexander Zemlinsky, auch heute wieder Kassenmagneten sein?

KAFTAN: Auf jeden Fall, da glaube ich total daran. 

INTERVIEW: ERNST NAREDI-RAINER