Es herrscht Ausnahmezustand im Grazer Schauspielhaus. Schon im Foyer werden die Besucher per Megaphon aufgefordert, sich als Kollaborateure bereitzuhalten. Denn das Theater ist zum Haus zur schlechten, düsteren Aussicht verkommen, besetzt von einigen ehemaligen Schauspielern und Schauspielerinnen, die sich seit vier Monaten im Widerstandskampf befinden. Weil der Spielort einem Nobelhotel weichen soll. 

So der Beginn eines herrlich verstörenden, anarchistischen Aktionstheaters, bei dem schon auch Christoph Schlingensief von irgendwo da oben grüßen lässt. Auch drinnen im Saal ist nichts, wie es scheint. Das Publikum wird höflich aufgefordert, das Widerstandsnest auf der Bühne zu besichtigen. Der Weg führt vorbei an kleinen Gemüsebeeten, Hochbetten, Schlafstätten, einer desolaten Waschmaschine, einer Kochstelle, dem WC, einem Hochsitz gleich, aber reichlich störungsanfällig.

Michael Ronen in Höchstform
Michael Ronen in Höchstform © Lupi Spuma

Man schreibt das Jahr 2018. Die Welt steckt erneut in einer tiefen Krise, Kultur verkommt zum Wurmfortsatz. Ein Theater im Theater im Theater nimmt seinen Lauf, grotesk, ständig um neue Achsen rotierend. Die Ebenen zwischen Realität, finsteren Visionen, Solidaritätsaufrufen an die Besucher, die nebstbei erfahren, dass sie ebenfalls eingeschlossen sind und eine Kurzeinschulung zum Selbstschutz erhalten, sollte die Polizei zum Sturm auf das letzte Bollwerk ansetzen, verwischen völlig. Ein bizarres, mehrbödiges Endspiel, mit Akteuren, die kaum noch unterscheiden können zwischen Theater- und realer Lebensrolle. Viele Themen greift Yael Ronen mit ihrer sechsköpfigen Kommune auf, beginnend natürlich mit der Occupy-Bewegung, noch lange nicht endend bei der Suche nach Restrelikten eigener Identität. Vieles wird nur kurz angerissen, gestreift und durch Spielwitz, Clownerie und Situationskomik verniedlicht, wer will, kann sich ja das eine oder andere Problemhäppchen mit nach Hause nehmen. Wie schon in "Hakoah" und "Niemandsland" beweist Yael Ronen ihr rares Geschick, den Theatergehern einen unsichtbaren Strick um den Hals zu legen; sie zieht daran, nie allzu fest, wissend, dass sich dadurch weitaus nachhaltigere Wirkung erzielen lässt. Denn die Intention ist klar: Das Licht am Ende des Tunnels stammt vom entgegenkommenden Zug.

Knappe 75 Minuten nur dauert die Expedition in eine schöne neue Scheinwelt, mit großem Beifall bedacht, aber sie hat Nachhaltigkeit. Weil Birgit Stöger, Katharina Klar, Jan Thümer, Kaspar Locher, Sebastian Klein und Michael Ronen, dieser begnadete Charismatiker, nicht nur in eine mögliche, schaurige Welt von morgen führen, sondern auch in eine Theaterform, die die Gegenwart dringend braucht.