Friederike Mayröckers kurze, aber umso gewaltigere poetische Auseinandersetzung mit dem Tod ihres "Hand- und Herzgefährten" ist nicht nur Aufarbeitung des ungeheuren Verlusts, sondern vor allem auch ein kraftvolles Aufbäumen gegen den Tod, ein Anschreiben gegen das eigene Verschwinden. Sie feiert das Leben und verteufelt das Sterben. Lesch Schmidt verlagert diesen fragilen Schauplatz zwischen Himmel und Hölle mit seiner Vertonung allerdings in eine leichtlebige Jazzbar: 60 Minuten lang plätschern die von ihm selbst am Klavier sowie Nikolai Tunkowitsch (Geige), Alexander Rindberger (Kontrabass, Tuba), Dirko Juchem (Querflöte, Saxofon) und Manni von Bohr (Schlagzeug) interpretierten Stücke wie lästige Hintergrundmusik in einer Hotelbar auf die Bühne des Akademietheaters.

Mayröckers Stimme, die das "Requiem" vollständig eingelesen hat, kommt vom Band, einige Passagen liest die Schauspielerin Dagmar Manzel vor, wodurch eindringliche Doppelungen entstehen und einzelne Passagen klarer hervortreten. Dennoch verschluckt der jazzige Klangteppich den Text allzu oft, am besten beschreibt es eine Wendung im "Requiem" selbst: "Übermalung der Stimme". Nahezu grotesk wird es, wenn die erst kürzlich mit dem Faust-Theaterpreis ausgezeichnete Schauspielerin zusätzlich von Schmidt vertonte Gedichte mit laszivem Hüftschwung singt, als wären sie beliebiges Liebesgesäusel. Angesichts von Versen wie "ausgesetzt bin ich verschüttet, morsches Gebälk mein Leib" eine klare Themenverfehlung.

"Szenisch eingerichtet" wurde dieser Abend übrigens von niemand Geringerem als Hermann Beil. Abgesehen von Manzels Wegen vom Barhocker auf der rechten Seite zum Bösendorfer auf der linken Seite der Bühne wären da noch jene vier Fotos von Mayröcker und Jandl zu erwähnen, die auf einer riesigen Leinwand im Bühnenhintergrund in Dauerschleife eingeblendet und schmerzlich nah herangezoomt werden. Eine Entsprechung dafür findet sich im "Requiem": "(...) grobe Vergrößerungen von Schwarzweiß-Fotos (...)".

Der Applaus am Ende fiel zaghaft freundlich aus. Bis sich die in er ersten Reihe neben ihrer Verlegerin, Suhrkamp-Chefin Ulla Berkewicz, sitzende Jubilarin Friederike Mayröcker erhob. Zunächst den Akteuren auf der Bühne höflich applaudierend, dann von Berkewicz zum Publikum gedreht: Die Standing Ovations für die Dichterin dauerten mehrere Minuten lang. Und so drängt sich eine letzte Zeile aus dem "Requiem" auf: "... wir sind nicht nur müder wegen gestern, wir sind anders ..."