David Cronenberg hat mit 71 Jahren seinen ersten Roman veröffentlicht. Der vor allem für wegweisende Science-Fiction- und Horrorfilme bekannte Regisseur legt mit "Verzehrt" (S. Fischer) einen Thriller vor, der von Ermittlungen im Fall eines menschenfressenden Star-Philosophen handelt. Cronenberg blickt in finstere menschliche Abgründe und auf schrille Marotten einer technikbesessenen Zeit.

Naomi Seberg und Nathan Math sind um die Welt rasende Reporter und ein Paar, das vor allem die Leidenschaft für ihre technische Ausrüstung verbindet. In ihren Unterhaltungen fliegen Marken- und Produktnamen von Computern, Smartphones und Kameras hin und her wie auf einer IT-Messe. Bei ihren Treffen mit Informanten läuft immer versteckt ein Aufnahmegerät mit. Bis auf ein eiliges Rendezvous in einem Amsterdamer Flughafenhotel kommunizieren sie im Roman nur online.

Naomi stößt auf die unglaubliche Geschichte von Aristide und Celestine Arosteguy, eines älteren französischen Philosophenpaars, das mit Fundamentalkritik an der Konsumkultur berühmt geworden ist. Aristide wird verdächtigt, Celestine ermordet und die Leiche gegessen zu haben. Die Suche nach dem exzentrischen und für sexuelle Eskapaden berüchtigten Star-Philosophen führt die Journalistin nach Tokio.

Am Weg dorthin wird Naomi von Nathan mit einer ausgerottet geglaubten Geschlechtskrankheit namens Roiphe angesteckt. Die fing sich der Medizinjournalist beim makabren "Mitleidsfick" mit einer von Therapien gezeichneten Krebspatientin ein. Als er den Entdecker der Krankheit aufsucht, den unheimlichen Dr. Barry Roiphe, trifft er auch dessen unheimlich attraktive Tochter Chase, die seit einem Studium bei den Arosteguys ihren eigenen Körper in kleinen Stücken verspeist und eine verdächtige Obsession für 3D-Drucker entwickelt hat.

Sex- und Ekelszenen

Cronenberg reiht Sex- und Ekelszenen genüsslich aneinander und nimmt sich zwischendurch Zeit für randständige Themen von MotoGP-Rennen über Kriegsführung mit Insekten bis zu nordkoreanischer Frisurenkunde. Immer wieder verschwimmt die Grenze zwischen Biologie und Technik, wie man das auch aus Filmen wie "Videodrome" (1983) oder "Crash" (1996) kennt. Da wird das Schließen von Kamerablenden mit Beckenbodenübungen verglichen, Handys zu alle Lebensbereiche durchdringenden "Stammzellen-Phones" erklärt und Gedanken wie Steine im Computerspiel Tetris geordnet.

Während Cronenberg Gedanken, Metaphern und Bilder zu einer aus den Fugen geratenen Welt aufeinandertürmt, bleiben die Romanfiguren kaum mehr als Sprechpuppen. Der Mangel an menschlichen Regungen macht das Lesen mit der Zeit mühsam. Und wenn die abgesehen von deftigen Details weitgehend konventionelle Handlung in den irrwitzigen letzten Kapiteln gerade auf eine groß angelegte techno-politische Verschwörung zuläuft, endet das Buch abrupt. Aber die gewonnene Einsicht, dass für "iPhone-Touchscreen-Sex" kurz geschnittene Fingernägel von Vorteil sind, kann einem niemand mehr nehmen.

GREGOR HOCHRIESER/APA

Das Buch:"Verzehrt" von David Cronenberg, S. Fischer Verlag 2014, gebunden, 23,70 Euro