Ed. Hauswirth und Helmut Köpping haben ein komplett neues Stück mit einem eigenständigen Handlungsablauf geschaffen. Johann Nestroy, der vermutlich aufmüpfigste Theatermacher des 19. Jahrhunderts in Österreich, dient den beiden Urgesteinen des Grazer Theater im Bahnhof für ihre Koproduktion mit dem Schauspielhaus lediglich als Hauptbezugsquelle.

Die handelnden Personen sind allesamt aus den drei im Titel des Stücks genannten Nestroy-Bühnenwerken entsprungen: Die drei Hauptakteure aus dem "Lumpazivagabundus", die Handwerksgesellen Knieriem (Rupert Lehofer), Zwirn (Lorenz Kabas) und Leim (Matthias Ohner), treffen als Polterabend-Teilnehmer hier auf zentrale Figuren aus "Höllenangst" und der etwas unbekannteren, späten Nestroy-Satire "Umsonst".

In dem Stück geht es um Männerfreundschaften sowie um eine zeitkritische Betrachtung der Zustände rund um Jörg Haiders ehemalige "Buberlpartie" und andere merkwürdige Seilschaften, die Öffentlichkeit und Gerichte in den vergangenen zwanzig Jahren beschäftigt haben. Der Blick darauf erfolgt aber nicht nur mit den klassisch Nestroy'schen Mitteln der scharfzüngigen Verspottung, sondern auch in bewährter TiB-Manier unter Heranziehung von allerlei Versatzstücken aus der globalen Popkultur der vergangenen 50 Jahre.

Da erinnert etwa der Auftritt einer Stripperin beim Herren-Polterabend an eine Szene aus dem Hollywood-Film "The Big Lebowski", eines der von der famosen Bühnenmusik der Wienerlied-Neuerfinder vom Kollegium Kalksburg vorgetragenen Couplets mutiert zu "Always Look On the Bright Side of Life". Auch der Lucilectric-Schlager "Mädchen" übernimmt an diesem Abend die Funktion eines Nestroy'schen Kehrreims.

Apropos Frauen: Diese spielen in jeder Männerrunde natürlich immer eine wichtige Rolle. An diesem Abend ist es vor allem die überzeugende Beatrix Brunschko, die als Kellnerin (hier sind wir wieder ganz bei Nestroy) das Geschehen nicht nur überblickt sondern - mit Hilfe einer TV-Fernbedienung auch steuert. In der parallelen Zauberwelt - wieder ein klassisches Nestroy-Element - ist sie die Schiedsrichterin einer Wette zweier Feen, ob sich die korrupte irdische Männerpartie am Ende zum Guten wendet oder nicht.

Und - Vorsicht! Spoiler Alarm! (um das TiB-Rezept auch in der Rezension umzusetzen): Sie tut es nicht. Darin liegt vielleicht eines der Probleme des aktuellen Theaterprojekts von Hauswirth und Köpping. Denn in der eher bekümmert den unbekümmert wirkenden Auflösung des Stücks fahren nicht nur sämtliche Männer auf Knopfdruck der auch als Böser Geist (Lumpazivagabundus) und als der wirkliche Teufel enthüllten Kellnerin in die Hölle.

Im allerletzten Bild robbt auch noch ein nackter, gequälter Körper - jener von Hauptdarsteller und "Bräutigam" Christoph Rothenbuchner auf in einer riesigen, in Las-Vegas-Optik gehaltenen Leichenhalle auf seinen Sarg zu. Das Ganze wird mit einem aus dem wirklichen Leben stammenden Nestroy-Zitat kommentiert, in dem der großen Graz-Wiener Satiriker seine historisch überlieferte Angst, lebendig begraben zu werden äußert.

Mit diesem etwas überraschenden Stimmungstiefschlag lässt sich die eingangs geschilderte Publikumsreaktion wohl in erster Linie erklären. Ein weiterer Grund dafür dürfte sein, dass die aufgelegten Seitenhiebe auf Maischberger, Grasser, Haider, Petzner sowie andere Zentralfiguren der österreichischen Politik der vergangenen Jahrzehnte mitunter etwas lahm bleiben. Die Wirklichkeit überbietet wie so oft die Satire, die auf sie möglich ist.

Dass dann doch etliche Bravo!-Rufe aus dem Publikum erschallen, hat wohl hauptsächlich mit der ausgezeichneten Leistung des wie aus einem Guss agierenden, gemischten Ensembles aus Theater im Bahnhof und Schauspielhaus zu tun. Auch wenn das TiB-Experiment an seinen hochgesteckten Zielen (nachzulesen in einem ausgedehnten Interview mit den beiden Regisseuren im Programmheft) diesmal teilweise scheitert, bleibt die Inszenierung allemal sehenswert.