Der berührendste Moment ereignete sich knapp vor dem triumphalen Ausklang mit dem als Duett geschmetterten "Granada" von Agustín Lara. Auf eine Orchesterbegleitung verzichtend, sang Angela Gheorghiu als vierte Zugabe des Abends das erste Lied, das sie als Kind gelernt hatte, das Wiegenlied ("Guten Abend, gut' Nacht") von Johannes Brahms: ganz schlicht, leise und nahezu akzentfrei.

Das ungemein substanzvolle Piano zählt nach wie vor zu den stärksten Trümpfen der Primadonna, deren Stimme auch nach einem Vierteljahrhundert Weltkarriere keinerlei Verschleißerscheinungen aufweist. Weil die rumänische Diva ihre Rollen sehr sorgfältig auswählt und ihre Stimme meisterhaft beherrscht, hat ihr individuell timbrierter Sopran nichts von seinem kostbaren Klangreichtum eingebüßt.

Intensive Gefühle

Obwohl sie jeden Ton, den sie singt, technisch vollkommen unter Kontrolle hat, jede Forte-Attacke gänzlich unforciert klingt und durch große Leuchtkraft besticht, die Raffinesse ihrer Phrasierung, Dynamik und Farbgebung fasziniert, wirkt ihr Vortrag nie gekünstelt oder unterkühlt. Angela Gheorghiu badet nicht in der Schönheit ihrer sehr modulationsfähigen Stimme, sondern vermittelt mit großer Eindringlichkeit Gefühle, gestaltet klar konturierte Charakterporträts. Zarte Mädchenhaftigkeit (als Lauretta in Puccinis "Gianni Schicchi") steht ihr dabei ebenso zu Gebote wie jugendliches Feuer (als Mimi in Puccinis "La Bohème"), innige Frömmigkeit (als Desdemona in Verdis "Otello"), empfindsames, aber entschlossenes Duldertum (als Liu in Puccinis "Turandot"“) oder leidenschaftliche Dramatik (als Titelheldin von Catalanis "La Wally").

Statt des ursprünglich angekündigten Atalla Ayan und des noch im Programmheft angeführten Marius Vlad Budoiu hatte sie für ihr Festkonzert zum 200. Geburtstag des Musikvereins für Steiermark ihren Landsmann Teodor Ilincai, der sehr verschwenderisch mit seinem reichen Tenor-Metall umging, im Piano aber stumpf klang, als Partner mitgebracht. Am Pult des flexibel begleitenden Orchesters der Wiener Volksoper hing Tiberiu Soare an den Lippen der Diva.

ERNST NAREDI-RAINER