Kommen Sie herunter in die Hauptstadt!", lautet die augenzwinkernde Einladung, wie sie auf Werbeplakaten in den Pariser Metro-Stationen prangt. Hauptstadt Marseille? Ja, Hauptstadt der Gangster. So jedenfalls war bisher das Image des "französischen Chicago", das seit Jahrzehnten hauptsächlich mit hoher Kriminalitätsrate und mörderischen Bandenkriegen, mit ausgedehnten Armenvierteln oder der rüden Aussiedlung unbeliebter Roma in die Schlagzeilen kam.

Das soll sich ab heuer ändern. Die Metropole in der Provence, seit jeher von Einwanderern und der damit verbundenen Buntheit, aber auch gesellschaftspolitischen Brisanz geprägt, soll sich neu öffnen. Im Alten Hafen, wo ab 1900 viele Italiener, später Algerien-Franzosen und in jüngster Zeit vor allem Migranten aus den ehemaligen Kolonien in Afrika ankamen, entsteht eine architektonisch imposante Kulturmeile.

Hafen als Kulturmeile

Kernstück des größten Stadtentwicklungsprogramms in Westeuropa, für das man 660 Millionen Euro springen ließ und Paradearchitekten wie Jean Nouvel oder Frank Gehry engagierte, ist der von Rudy Ricciotti entworfene Glasquader des "Museums für mediterrane und europäische Kulturen" (MuCEM), der im März eröffnet werden soll. Daneben ragt die "Villa Méditerranée", von Stefano Boeri konzipiert, wie ein Riesensprungbrett über das Hafenbecken und soll samt seinem spektakulären Unterwassersaal "Zeichen für Toleranz und Solidarität" sein. Zusammen mit der neuen Anlegestelle "J1" von Catherine Bonte, die sich als Riesenhangar zum Meer hin öffnet, will man "Die Welt willkommen heißen", so das Motto in Marseille.

Aber nicht nur dort, sondern mit einem mit 80 povençalischen Städten von Aix bis Arles entwickelten Programm werden neue Kapitel aufgeschlagen. 100 Millionen Euro stehen bereit für 400 Ereignisse, die von Zirkus über Tanz bis Kulinarik die Vielfalt der gesamten Region zeigen soll.

Kommende Samstagnacht wird zum Auftakt des Kulturhauptstadtjahres in einem "grand clameur" fünf Minuten lang alles hupen und tröten, singen und klingen, tönen und dröhnen, was in Marseille nur Geräusche machen kann. Nach diesem "großen Aufschrei" wird die Stadt in völlige Dunkelheit tauchen, um bei einem Feuer- und Lichtspektakel neu zu erwachen - als bewunderte "belle ville" und nicht mehr als verrufene "ville rebelle", wie die Verantwortlichen hoffen.