Es ist ein starkes Jahr für Ulrich Seidl: Im April war er mit "Liebe", Teil 1 seiner "Paradies"-Trilogie über drei Frauen, im Rennen um die "Goldene Palme". Auch wenn der Film über eine 50-jährige Wienerin, die als Sextouristin in Kenia vergeblich die Liebe sucht (Margarethe Tiesel), keinen Preis erhielt, so gibt es für den 59-jährigen Wiener "doch nichts Besseres, als wenn eine Trilogie in Cannes startet, das ist die höchste Disziplin, die man erreichen kann".

Im Juni zeigte Seidl seine zweite Theaterarbeit, "Böse Buben/Fiese Männer", bei den Wiener Festwochen und in den Münchner Kammerspielen; sein Kellerdrama über eine armselige Herrenrunde fand allerdings geteiltes Echo. Mit dem "privaten Untergrund" beschäftigt sich Seidl ja schon seit den Recherchen zu "Hundstage" (Großer Jury-Preis in Venedig 2001) und hat auch den Dokumentarfilm "Im Keller" über die Beziehung der Österreicher zu ihren Kellern in petto.

Donnerstagnacht ging es in Venedig mit "Paradies: Glaube" aber nicht hinunter, sondern hinauf, in den Himmel. Quasi. Seidl erzählt in Teil 2 seiner Trilogie, wie die mit einem gelähmten Muslim verheiratete Röntgenassistentin Anna Maria (Maria Hofstätter) all ihr Tun und Sein Jesus weiht. Für den Regisseur, Autor und Produzenten, der in Horn in einer streng religiösen Ärztefamilie aufwuchs und eigentlich Priester werden sollte, ist es "eine filmische Pietà".

In den "Kreuzstationen einer Ehe" geht es beim Sehnen nach Liebe auch um Selbstgeißelung und um geheime Lust, die für Seidl gerade auch durch die Körperfeindlichkeit der katholischen Kirche evoziert wird. Wir berichten morgen, wie Venedig darauf reagierte, dass der Baustellenleiter schonungsloser Sozialdramen neuerlich seine Abrissbirne in gesellschaftliche Fassaden hat schwingen lassen.