Ja, sie hat alle ihre Hits gespielt: "Born This Way", "You And I", "Alejandro" und "Bad Romance" sowieso. Aber bis es in der Wiener Stadthalle so weit war, hat es ein bisschen gedauert. Anders als Madonna, die eingehüllt ins Hotel huschte, als sei sie in einem Zeugenschutzprogramm, hatte Lady Gaga vor dem Imperial gut gelaunt und geduldig Autogramme gegeben. Geduld war dann in der Stadthalle gefragt: Für 20 Uhr 30 angesetzt, kam sie erst gegen viertel Zehn auf die Bühne.

Davor durften vier Haudraufs namens "Darkness" lärmen und an unseligere Momente der siebziger Jahre erinnern. Danach eine gute Stunde lang Klassisches vom Band. Die New Yorkerin verordnete ihren Fans Smetana, Albinoni, Wagner, Bizet, Mozart u. ä. als akustischen Aperitif.

Düstere Burg

Der neue Stadthallenchef Wolfgang Fischer hatte zwei hochmögende Klassikstars zum Konzert gelotst: Den Violinwunderknaben David Garrett, der soeben in Wien als Paganini vor der Kamera steht. Und Pianostar Lang Lang, der schon vorab seine Verspätung angekündigt hatte. Doch als sein schwarzer Audi A8 gegen 21 Uhr auf die Stadthallenrampe glitt, gab's drinnen noch Moldau, Kleine Nachtmusik und das Adagio. So konnten dann die beiden Klassikanten von Beginn weg den Auftritt ihrer Pop-Kollegin mitverfolgen.

Was heißt Auftritt: Zu den wummernden Beats von "Highway Unicorn" erschien eine draculeske Burg, aus der sich eine düstere Prozession (inklusive künstlichem Pferd) auf den Catwalk rund um die Bühne begab. Die Burg mutierte zur Laserkanone. Eine schnarrende Stimme verkündete, ein gefährliches Wesen namens Lady Gaga sei entkommen und auf bestem Weg, eine neue Spezies zu gründen. Kurz später gebiert sie sich selbst aus dem gewölbten Leib einer schwangeren Plastikpuppe, deren Kopf sie zuvor gewesen war. Ein schönes Bild.

Und um Bilder geht es hier: Gaga als Jedi-Ritter, Gaga als geiler Bock, Gaga am Motorrad, Gaga als zwanziger Jahre-Model, Gaga als Killerin mit MP, Gaga als Alien und soweiter. Gefühlte 30-mal wechselte ihr Kostüm.

Die Bühne changiert visuell zwischen Harry Potter, Blade Runner und Weißem Rössl. Eine Bilderwut, die den unersättlichen Rezeptoren der Post-MTV-Generation willkommenes Futter ist.

Das ist kein Konzert im üblichen Sinn. Die Musik ist alldem gegenüber höchstens gleichrangig. Das meiste kommt vom Band, was angesichts des DJ-Kults á la David Guetta ohnedies kein Thema ist. Nur selten lässt sich die Band blicken, die bei Bedarf mit hammerhartem Drive aufwartet.

In raren Momenten, bei Balladen wie "Princess Die" oder "The Edge of Glory" wird spürbar, dass Stefani Angelina Germanotta eine ziemlich gute Songschreiberin ist, deren (Alt-)Stimmumfang allerlei Eindrucksvolles zulässt.

Selbstironie

Aber darum geht es nur am Rande: Lady Gaga ist eine begnadete Dialektikerin. Schon der Künstlername verweist auf ein Talent zur Selbstironie, selbige zieht sich auch durch die ganze Show und einmal an diesem Abend bekennt sie etwas, das Madonna im Hals stecken bliebe: "Ich bin ihr. Ich bin, weil ihr mich geschaffen habt!" Die jüngere Klientel überhört derlei gnädig und huldigt ihr so, wie es scheinbar vom Himmel gestiegenen Idolen zukommt. Und sie sorgt dafür, dass Google unter Lady Gaga unfassbare 410 Millionen Eintragungen verzeichnet und ihre YouTube-Downloads die Milliardenhürde geschafft haben.

Der ebenso scheinbare wie gut kalkulierte Widerspruch bestimmt auch sonst den Abend: Lady Gaga beschwört interkulturelles Leben immer wieder, preist drei Dutzend Mal "Austria" bzw. "Vienna" und läuft dann eine Catwalkrunde mit der rotweißroten Fahne. Dass sie Michael Jacksons dämliches "I love you all" nicht reanimiert, ehrt sie sehr.

Und da ist diese überwältigende, doch Distanz schaffende Show und dann zieht sich die Gaga eine zugeworfene Fanjacke über, holt zu guter Letzt ein völlig verblüfftes Mäderl auf die Bühne und ist damit stellvertretend kurz all den Ihren ganz nah.

Lady Gaga ist die geniale Gesamtkunstwerkerin der Stunde. Sie montiert zahlreiche Chiffren der aktuellen Populärkultur zu einem Größeren Ganzen. Wer darin tieferen Sinn suchen mag, kann durchaus auf seine Art fündig werden. Wer indes die Regel akzeptiert: "The surface ist the content" - Die Oberfläche ist der Inhalt, kann auch damit gut leben und zufrieden nach Hause gehen. Er hat zusammen mit 14.000 anderen eine Party erlebt, die eigentlich alles geboten hat, was man von ihr erwarten durfte.