Geht es nach den Kritikern, steht der Gewinner der Goldenen Palme der 65. Filmfestspiele in Cannes bereits fest: Der österreichische Filmemacher Michael Haneke hat am vergangenen Sonntag die internationale Medienlandschaft mit "Amour", einem berührenden und zärtlichen Drama über das Sterben, erschüttert und gilt vielen als einziger Kandidat für den begehrten Hauptpreis.

Haneke hat deutlich Wirkung hinterlassen, sein intensives Kammerspiel mit Emmanuelle Riva und Jean-Louis Trintignant beschäftigte und bewegte zahlreiche Kinogänger noch lange nach der Vorführung. "Amour" handelt von einem alten Paar, dessen Leben und Liebe durch einen Schlaganfall auf den Prüfstand gestellt wird. Haneke inszeniert das unsentimental, schafft so aber eine enorme Emotionalität und Wucht.

Chancen werden auch dem Rumänen Cristian Mungiu eingeräumt, der mit seinem strengen Drama "Beyond the Hills" Eindruck hinterließ. Auch bei Mungiu geht es um Liebe, hier allerdings um die zweier junger Frauen, von denen die eine nicht ohne die andere leben kann. Doch als sie ihre Freundin aus einem Kloster holen will, kommt es in dem streng orthodoxen Umfeld zur Katastrophe.

Einigen Filmen werden zumindest Außenseiterchancen zugebilligt. Jacques Audiard hatte gleich am ersten regulären Festivaltag mit "Rust & Bone" für einen starken Auftakt gesorgt, auch wenn sein Drama um eine junge Frau, die nach einem Unfall ihre beiden Beine verliert und wieder zurück ins Leben finden muss, teilweise überdramatisiert wirkt. Auch über den zweiten österreichischen Beitrag, Ulrich Seidls "Paradies: Liebe" über Sextouristinnen in Kenia, wurde an der Croisette viel diskutiert - ebenso wie über die Abwesenheit der österreichischen Kulturpolitik an der Cote d'Azur. Ministerin Schmied sprach inzwischen jedoch eine Einladung an Seidl und Haneke zu einem Empfang nach der Rückkehr aus. Für Haneke wäre es die zweite Palme, Gewissheit wird es jedoch frühestens am Sonntagabend geben.