WIEN. Der Ärger über die Abkanzelung durch Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzenden Werner Faymann in einem "Kurier"-Interview war am Donnerstag vor Beginn der Sitzung des ORF-Stiftungsrats deutlich spürbar. Ein Großteil der 35 Stiftungsräte artikulierte den Unmut laut. Faymann will aus dem "unübersichtlichen Stiftungsrat" einen "ordentlichen Aufsichtsrat" mit qualifizierten Fachleuten machen. Zusätzlich stößt es den Stiftungsräten auf, dass niemand aus ihrer Mitte in die von Medienstaatssekretär Josef Ostermayer eingerichtete Arbeitsgruppe eingeladen wurde.

ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz und sein kaufmännischer Direktor Richard Grasl berichteten über wirtschaftliche Ergebnisse des ersten Quartals 2012: Trotz rückläufiger Werbeerlöse (4,9 Millionen Euro weniger als eingeplant) liegt das Konzern-EGT durch das Greifen des Personalabbaus und der Strukturmaßnahmen um 5,3 Euro Millionen über Plan.

Die Stiftungsräte drängten Wrabetz, ein mit exakten Zahlen unterfüttertes und entscheidungsreifes Projekt für den zukünftigen Standort des Unternehmens vorzulegen. Bis 24. Mai müssen die verschiedenen Varianten, Totalsanierung des ORF-Zentrums am Küniglberg oder Neubau in St. Marx, auf den Tisch. In der nächsten Stiftungsratssitzung am 28. Juni soll eine Entscheidung fallen. Reicht die Zeit nicht, gibt's am 12. Juli einen Sonderstiftungsrat zu diesem Thema. Nachdem der ÖVP-Generalsekretär Johannes Rauch den möglichen Neubau schon prophylaktisch als "rotes Millionengrab" abqualifiziert hat, mehren sich die Stimmen der Absiedlungsskeptiker.

Gestern sollte noch über die von Stiftungsrat Franz Küberl ausgearbeiteten "Corporate Governance"-Regeln für Stiftungsratsmitglieder - erst nach einer Abkühlphase von zwei Jahren dürfen sie im Unternehmen arbeiten - abgestimmt werden. Da nur mehr 19 Stiftungsräte anwesend waren, wurde die Causa vertagt. REINHOLD REITERER