H err Kaminer, wie würden Sie Ihren Weg in Kurzform beschreiben?

WLADIMIR KAMINER: Lang. Ich meine, als langen Weg. In der Sowjetunion haben wir uns fremde Welten zusammengeträumt. Natürlich konnte keine reale Welt diesen Träumen standhalten. Ich bin Jahrgang 1967, kam 1990 in den Westen, im ersten Jahr, als das möglich war. Aus dem Traum wurde also eine Reise, aus der Reise eine Disko, dann ein Buch und nun ein Film. Aber die Reise geht weiter.

Sie schreiben Ihre Bücher in deutscher Sprache und schafften es zum Bestsellerautor. Hätten Sie das je gedacht?

KAMINER: Mein Ziel war nie eine Karriere als Bestsellerautor. Ich wollte, als kommunikativer Typ, nur mit möglichst vielen Menschen ins Gespräch kommen. Ich sehe mich als Geschichtenerzähler, als solcher ging ich zunächst auf die Kneipenbühne, gründete die Russendisko. Da ich auf die Aufmerksamkeit der Menschen angewiesen war, musste ich ihre Sprache sprechen. Außerdem habe ich Übersetzern gegenüber großes Misstrauen, die sind oft mehr auf die eigene Person als auf Originalinhalte bedacht. Inzwischen sind meine Bücher in 30 Sprachen übersetzt, die ich zum Glück nicht beherrsche, sodass ich nicht feststellen kann, ob die Übersetzungen gut oder schlecht sind. So oder so: Ich bin Geschichtenerzähler geblieben, suche immer den direkten Dialog mit dem Publikum. Der wird durch den Film sicher noch ausgebaut. Ihn werden Menschen sehen, die keine Bücher lesen - oder gar nicht lesen können.

Mit welchem Pass reisen Sie?

KAMINER: Mit einem deutschen. Doch die Geschichte eines Menschen hat oft wenig mit seinen Papieren zu tun. Ich bin in der ehemaligen Sowjetunion sozialisiert worden. In einem Land, das es gar nicht mehr gibt. In der Sowjetunion habe ich meine ersten Bücher gelesen, die meine Vorstellung von der Welt sehr beeinflusst haben. Dann kam ich in die DDR. Die gibt es auch nicht mehr. Inzwischen bin ich in einem Deutschland, das noch ziemlich jung ist und die Vision von einem großen Europa hat. Für jede Vision braucht man Aufopferungsgabe und Großzügigkeit, und ich hoffe, dass Deutschland durch die Schuldenkrise der Griechen seine Vision nicht verliert. Doch ich bin Optimist. Ich denke, dass die Deutschen aus ihrer schmerzhaften Geschichte gelernt haben.

Und Sie sind jetzt faktisch als Deutscher unterwegs?

KAMINER: Ja, und das ist nach wie vor etwas skurril. Ich bin jetzt zum Beispiel nach St. Petersburg eingeladen - als deutscher Kulturträger vom deutschen Konsulat. Im Vorjahr war ich in Mexiko, wo man sich für die Einladung aus einer Vielfalt deutscher Kultur für "Russendisko" entschieden hatte. . .

Wie viel von Wladimir Kaminer steckt im Buch?

KAMINER: Erstens geht es um Dinge, die ich selbst erlebt habe. Zweitens ist in jeder der drei jungen Hauptfiguren ein bisschen von mir. Als ich das Buch schrieb, war ich so naiv, dass ich mir gar keine Mühe gab, die Originalnamen zu verändern.

Wie sehen Sie das heutige Russland unter Wladimir Putin?

KAMINER: Was Russland braucht, ist ein gesunder Machtwechsel. Es sollten immer neue Menschen in die Politik kommen, alle zwei, drei Jahre sollte es Zuwachs geben, der auf der Bühne der Politik etwas zu sagen hat. Es kann doch nicht sein, dass ein Land mit 140 Millionen Einwohnern keinen anderen als Manager und Politiker hat als Wladimir Putin. Zwölf Jahre Putin haben dazu geführt, dass es in Russland keine Politiker mehr gibt. Einmal wurde er aufgefordert, den Namen eines anderen politischen Aktivisten zu nennen. Er hat nachgedacht, und es ist ihm nur ein Name eingefallen: Medwedew, obwohl der nur eine Politik als Stuhlwärmeflasche betrieben hat. Diese politische Verstopfung führt in eine Sackgasse. Langfristig kann nur ein System überleben, das zu Veränderungen fähig ist.

Woran arbeiten Sie momentan?

KAMINER: Nach "Mein Leben im Schrebergarten" an einem neuen Gartenroman. Weil es zu "Problemen mit spontaner Vegetation" kam, musste ich meinen Schrebergarten abgeben. Jetzt besitze ich, 60 Kilometer von Berlin entfernt, einen richtigen Landgarten. Jetzt habe ich mir einen Traktor gekauft, außerdem habe ich einen Weinberg, wo es bald den nördlichsten Rotwein der Welt geben wird. Ich bin schon sehr gespannt, wie der schmecken wird. Wahrscheinlich wie Himbeerwasser.

Mit ihrer Original-Russendisko ziehen Sie weiter durch die Lande?

KAMINER: Ja, am 27. April bin ich sogar wieder in Österreich, im b.lack Club in Salzburg. Da wird gelesen und Musik gemacht. Obwohl die Stimmung wichtiger ist als die Musik. Die spielt eine sekundäre Rolle. Dennoch bekomme ich aus Russland und aus allen früheren Republiken der Sowjetunion so viele CDs, dass ich eigentlich gar nicht mehr weiß wohin damit. Die "Russendisko" ist inzwischen eben berühmt. Sogar in Russland. INTERVIEW: LUIGI HEINRICH