Das erste Mal "Ma-ma-ma-ma" gebrabbelt, das erste Mal nach dem Finger des Papas gegriffen, das erste Mal den Löffel gehalten: Die ersten Male eines Babys sind besondere Momente. Sie sind eine Chronik der Entwicklungsschritte, die die kleinen Menschen meistern und führen zu Stolz bei Eltern und Familie.

Diese frühkindlichen Laute und Bewegungen sind aber nicht nur Erinnerungsbaustücke für die Eltern - sie können schon Anzeichen für eine spätere Entwicklungsstörung in sich tragen. Das zu erkennen, ist die Kernaufgabe der Forschung, die ein interdisziplinäres Team rund um Peter Marschik am Institut für Physiologie der MedUni Graz betreibt.

Rett-Syndrom und Autismus

"Wir schauen uns an, wie ein Kleinkind sich bewegt und können daraus Rückschlüsse darüber ziehen, ob sich das Kind normal entwickeln wird oder ob es ein Risiko für eine neurologische Störung hat." So fasst Marschik zusammen, was sich hinter der Forschungseinheit mit dem Kürzel "iDN" (interdisciplinary Developmental Neuroscience) verbirgt.

Das Kerngebiet ihrer Arbeit sei "Mustererkennung" sagt Marschik: Anhand von Bewegungen und Lauten, die Kleinkinder von sich geben, wollen sie Entwicklungsstörungen frühzeitig erkennen. Zu diesen Störungen zählen z. B. das Rett-Syndrom, bei dem sich Kinder im ersten Lebensjahr normal entwickeln und dann erlernte Fähigkeiten wieder verlieren und aufhören zu kommunizieren, das Fragile-X-Syndrom, das zu schweren Beeinträchtigungen führt, oder Erkrankungen aus dem Spektrum des Autismus.

Peter Marschik, MedUni Graz
Peter Marschik, MedUni Graz © KK

Frühere Diagnose

"Diese Erkrankungen werden meist erst im zweiten oder dritten Lebensjahr diagnostiziert", sagt Marschik. "Wir beschäftigen uns mit der Zeit davor." Erkennt man die Krankheit früh, könnten die Kinder früher gefördert werden, Eltern könnten besser begleitet und auch genetisch beraten werden - denn auch ein zweites Kind könnte von so einer Erkrankung betroffen sein.

Die Forschung, die Marschik mit seinem Team aus Physiologen, Linguisten, Psychologen, biomedizinischen Technikern und anderen betreibt, steht in einer langen Tradition: Die Analyse frühkindlicher Bewegungen geht auf Heinz Prechtl zurück, einem Mitarbeiter von Verhaltensforscher Konrad Lorenz. Aus dieser Tradition heraus wollen die Forscher das reine Beobachten in das digitale Zeitalter überführen.

Automatisieren

"Was heute die Augen der Experten leisten, soll in Zukunft ein Computer automatisiert erkennen", beschreibt Marschik die Vision. Dazu sollen sogenannte Biomarker des Verhaltens gefunden werden: Typische Verhaltensweisen, die auf eine Entwicklungsstörung hindeuten.

Um diese zu finden, arbeiten die Wissenschaftler auch mit "Home-Videos": "Wir analysieren Videos, die von Eltern zu einem Zeitpunkt gemacht wurden, als sie noch nicht wussten, dass ihr Kind krank ist", sagt Marschik. Aber auch Kinder, die aufgrund einer Frühgeburt oder einer erblichen Vorbelastung ein höheres Risiko für eine Störung haben, werden beobachtet.

"Vielseitigkeit ist ein Ausdruck für ein gesundes Nervensystem", sagt Marschik. Zeigt ein Kind im Gegensatz immer dieselben monotonen Bewegungen oder Laute, könne das ein Hinweis auf eine Entwicklungsstörung sein.

Sensoren und Druckmatten

Um diese Anzeichen zu erkennen, sei ein kompliziertes Messsystem notwendig, an dem im Rahmen der Bio-Tech-Med-Kooperation von TU, MedUni und Uni Graz gearbeitet wird: Druckmatten, Videosysteme, die auf Bewegungen reagieren, Sensoren, die Laute registrieren. "Noch ist das Zukunftsmusik", sagt Marschik. Doch der Forscher sieht sein Projekt ja auch als "Lebensaufgabe".