Während die Leute Nutztiere zunehmend als abstrakte Waren wahrnehmen, werden Haustiere oft vermenschlicht, so Experten Montagabend in Wien. Das ist in beiden Fällen nicht zum Vorteil der Tiere, sagten sie beim vom Wissenschaftsministerium veranstalteten "Science Talk".

So leide ein großer Prozentsatz der Haustiere an Wohlstandserkrankungen wie Übergewicht, sagte Michael Leschnik von der Abteilung für Interne Medizin der Veterinärmedizinischen Universität (Vetmeduni) Wien. Bei Hunden, Katzen, Meerschweinchen und Kaninchen werde in Privathaushalten beim Futter oft auf die bestmögliche Qualität geachtet, weniger jedoch auf die Menge. "Als Resultat sind viele Tiere doppelt so schwer, als sie sein sollten, und haben dadurch etwa Gelenksprobleme und eine kürzere Lebensspanne", so der Tierarzt.

Kein artgerechter Umgang

Die Vermenschlichung und der oft nicht artgerechte Umgang etwa mit Hunden führe zu immer mehr Vorsprachen in den Tierarztpraxen mit der Bitte: "Der Hund, der spinnt, bitte geben Sie ihm ein Pulver dagegen", berichtete Leschnik. "Nach eindringlichen Gesprächen kommen wir dann meistens zu dem Schluss: Der Hund verhält sich wie ein Hund, nur die Anforderungen entsprechen nicht dem, wie sich ein Hund verhalten kann", sagte er.

Aus medizinischer Sicht sei auch das gewünschte Aussehen vieler moderner Hunderassen problematisch. "Die Problemrassen sind klein, haben einen großen Kopf und ebensolche Augen und entsprechen so dem Kindchenschema", erklärte Leschnik. Sie sehen ihren Besitzer auch mit zwei Jahren so niedlich an wie als Welpen, haben dann jedoch aufgrund angeborener Wirbelsäulen-Missbildungen schon ständig Schmerzen und bekommen aufgrund ihrer kurzen Schnauzen kaum Luft.

4,2 Milliarden männliche Küken geschreddert

Während Haustiere so beliebt sind, dass 57 Prozente der Tierbesitzer laut einer US-Studie lieber ihren Hund oder die Katze mit auf eine einsame Insel nehmen würden als Partner oder Kinder, werden jährlich etwa 4,2 Milliarden männliche Küken am ersten Lebenstag geschreddert, berichtete Herwig Grimm vom Messerli Forschungsinstitut der Vetmeduni. Es sei nicht "krankhaft", dass man bei Haus- und Nutztieren große Unterschiede macht, und man müsse in beiden Fällen die Verhältnismäßigkeit getrennt diskutieren. "Als Ethiker bestehe ich aber darauf, dass man immer darüber diskutieren muss", sagte er.

Die Nutztiere seien den Menschen vielfach egal, denn "die Repräsentation des Nutztieres in der Öffentlichkeit hat nichts mit dem tatsächlichen Leben der Nutztiere zu tun", so Birgit Stetina vom Department für Psychologie der Sigmund Freud Privatuniversität Wien. Eine Dissonanz, dass man das liebe Schweinderl, das man zuvor auf der Weide gesehen hat, nicht zerschneiden und essen will, gäbe es bei vakuumverpackten Fleischstückchen einfach nicht. Sie plädierte für Informationskampagnen, die das verklärte Bild aus der Werbung zurechtrücken und "das wahre Leben der Nutztiere" zeigen.