Die Welt ist weit von gesteckten Klimaschutzzielen entfernt. Kann man Hoffnung in die Klimakonferenz in Paris setzen?

ERNST ULRICH WEIZSÄCKER: Kann man eindeutig. Es bleibt aber ein langer Weg, der übrigens ziemlich exakt vor 30 Jahren in Österreich begann, wo in Villach Weltgeschichte geschrieben wurde. Dort kamen damals zum ersten Mal Wissenschaftler und Politiker zusammen, um über die Befunde aus dem antarktischen Eis, die Korrelation zwischen Kohlendioxidkonzentrationen und Lufttemperaturen zu beraten.

Sie waren dabei?

WEIZSÄCKER: Ich war nicht dabei, aber zwei Freunde von mir. Einer von denen, Ex-Minister Volker Hauff, kam ganz aufgeregt aus Villach zurück, wo das Ganze losgetreten wurde. Seither macht man überhaupt erst Klimapolitik.

Jetzt möchte man das Zwei-Grad-Ziel erreichen, also dass die Erderwärmung bis 2050 nicht mehr als zwei Grad beträgt.

WEIZSÄCKER: Das wird man in Paris nicht beschließen können. Dafür sind die Prozesse zu langsam. Aber es gibt gute Nachrichten im Vergleich zu früheren Klimakonferenzen. Das ist nämlich die erste, bei welcher die beiden langsamsten großen Länder, China und USA, erstmals wirklich kooperativ mitmachen wollen.

Beim Kyoto-Protokoll 1997 waren die ja nicht dabei.

WEIZSÄCKER: Ja, und in Kopenhagen 2009 haben sie gemeinsam verhindert, dass es verbindliche Vereinbarungen gibt.

In Lima, wo man 2014 gedacht hatte, man würde einen Vorvertrag für Paris erreichen, hat man diesen auch nicht geschafft, sodass man jetzt die Nationen zu freiwilligen Vorschlägen aufforderte.

WEIZSÄCKER: Das ist leider immer noch das Einzige, was ein amerikanischer Präsident durch seinen Kongress bekommt. Der US-Senat ist das einzige Gremium weltweit, dass eine internationale Vereinbarung ratifizieren darf. Seit Ronald Reagan hat der Senat nichts mehr ratifiziert.

Obwohl US-Außenminister John Kerry in Lima leidenschaftlich warb, wie viele Arbeitsplätze der Klimaschutz schaffen würde.

WEIZSÄCKER: Die Regierung Obama hat exzellente Leute, die überzeugt sind, dass man etwas machen muss. Aber der Senat ist zu langsam. Trotzdem ist die freiwillige Vereinbarung, die auch von Amerika aggressiv betrieben wird, mehr als gar nichts und ich habe das Gefühl, es wird sich in Paris auf eine Koalition der Willigen zuspitzen. Länder, die bereit sind, etwas zu machen. Dazu gehören die EU-Länder minus Polen, sowie die kleinen Inselstaaten und ein paar andere Länder, die sagen: Wir verlieren ja gar nichts, wenn wir aktiven Klimaschutz machen, sondern wir gewinnen, wir modernisieren uns. Dazu gibt es auch wieder eine interessante und gute Nachricht aus Amerika: In den letzten fünf Jahren hat der durchschnittliche Aktienwert im Dow-Jones-Index etwa 70 Prozent dazugewonnen und die Aktien für Kohle haben 75 Prozent verloren. Das heißt, die Finanzwelt wendet sich ab vom Investieren in Kohle. Das ist eine Botschaft, die sogar der amerikanische Kongress versteht.

Für die EU-Staaten erstattet die Europäische Kommission einen Vorschlag von minus 40 Prozent CO2 bis 2030. Ist das erreichbar?

WEIZSÄCKER: Das ist erreichbar. Die Polen werden es nicht direkt sabotieren, aber nichts dafür tun, dass es erreicht wird.

Die EU strebt zugleich 27 Prozent Anteil erneuerbare Energien als Ziel an. Das wird wohl kaum genügen, weil das sonst weiterhin massiv Atomenergie braucht?

WEIZSÄCKER: Man braucht die Effizienzverbesserung und Energieeffizienz ist auch auf kommerzieller Seite attraktiv. Das heißt, die erneuerbaren Energien sind dann nicht ausreichend, wenn man auf der Energiebedarfsseite nichts verändert, mit baulichen Maßnahmen und dem Smart Grid. Mit der Kombination von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien kann man das 40-Prozent-Ziel durchaus erreichen.

Für Österreich würde das bedeuten, dass wir den Pro-Kopf- Ausstoß im Jahr von derzeit 7,4 Tonnen CO2 halbieren müssen. Da haben wir einen höheren Wert als China und liegen über dem europäischen Durchschnitt trotz des hohen Wasserkraftanteils.

WEIZSÄCKER: Das ist erstaunlich, liegt an Verkehr und Hausbrand.

Die Rohölpreise sind in den letzten eineinhalb Jahren um 50 Prozent gefallen. Das blockiert die Energiewende überall, besonders auch in Deutschland.

WEIZSÄCKER: Da sprechen Sie die traurigste Nachricht an. Die Saudis haben das Gefühl, dass die Zeit bald kommt, wo man Öl nicht mehr verkaufen kann. Daher wollen sie jetzt das Öl noch auf Teufel komm raus zu Geld machen und überschwemmen die Welt mit Dumping-Preisen. Es frustriert sie zudem die neue Konkurrenz von Schiefergas aus den USA. Dass diese vom Markt wegbleibt, ist ihnen in einem erheblichen Umfang gelungen. Aber der böse Nebeneffekt ist, dass erneuerbare Energien und insbesondere Energieeffizienz darunter schwer leiden.

Die Berichte des UN-Klimarates beinhalten regelmäßig auch Horrorszenarien, wenn mit dem Abschmelzen der Pole der Wasserspiegel der Meere steigt. Was ist von diesen Berichten zu halten und warum rütteln sie nicht wach?

WEIZSÄCKER: Ein Ministerpräsident eines Bundeslandes in Deutschland hat dieser Tage gesagt, Arbeitsplätze heute sind wichtiger als Klima in 30 Jahren. Es regiert also die Kurzfristigkeit der Politik des Denkens.

Was wäre ein optimal erwartbares Ziel von Paris?

WEIZSÄCKER: Ich würde sagen, einen rechtsverbindlichen Kern zu unterschreiben von der Koalition der Willigen. Eine Anreizentwicklung, die in diesen Ländern und möglichst weltweit dazu führt, dass es immer lukrativer wird, Klimaschutz zu betreiben. Sodass die zögernden Länder ihre bisherige Politik modifizieren und schließlich zur Koalition hinzustoßen. Dass diese freiwilligen Verpflichtungen, die jetzt eingereicht worden sind, sich im Laufe der nächsten zehn Jahre von der gegenwärtig angenommenen Erwärmung um drei Grad auf zwei Grad reduzieren. Und dass das Bewusstsein der Bevölkerung sich so entwickelt, dass sie den Politikern zum Klimaschutz Mut macht, statt die Regierungen davon abzubringen.

ADOLF WINKLER