Verstrahlte Natur und unbewohnte Siedlungen: Wie eine riesige Wunde klafft die "Todeszone" rund um das explodierte Atomkraftwerk Tschernobyl in der Ukraine. Metertief wurde nach der verheerenden Detonation von 1986, die sich an diesem Sonntag (26. April) jährt, der verseuchte Boden abgetragen, ganze Städte wurden binnen Stunden evakuiert. Nun sollen Investoren die bisherige Sperrzone nutzen.

Große Bauprojekte sollen nach dem Willen der Regierung in Kiew Milliarden in die ukrainische Staatskasse bringen. Obwohl die Strahlung in vielen Bereichen stark nachgelassen hat, klingt die Idee von Zukunftsprojekten in der "Todeszone" für den ukrainischen Staatsangestellten Valentin Melnitschenko immer noch wie ein Märchen. Aber ein Plan ist bereits umgesetzt. Mit europäischer Hilfe errichtete das Staatsunternehmen Radon ein Lager für schwachradioaktive Abfälle aus der Industrie. Die ersten 29 Container aus einem Charkiwer Kombinat wurden im April mit einem Spezialkran aus dem ostdeutschen Oelsnitz eingelagert und sollen einbetoniert 300 Jahre überstehen.

Schutzhülle für Reaktor

Zudem entsteht in Tschernobyl bis November 2017 eine neue, knapp 100 Meter hohe Schutzhülle für den explodierten Reaktor. Der 1986 eilig errichtete "Sarkophag" droht einzustürzen. Am Bau der neuen Hülle sind Arbeiter aus 17 Nationen beteiligt. Allerdings fehlen Schätzungen zufolge noch mindestens 615 Millionen Euro zur Fertigstellung. Unter Vorsitz Deutschlands findet daher am kommenden Mittwoch (29. April) bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) in London eine Geberkonferenz statt.

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In Tschernobyl wehen als Symbol weiterer großer Pläne an diesem Apriltag eine ukrainische Fahne und eine US-Flagge im Wind. Sie markieren den Bauplatz für ein geplantes Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle. Seit Jahren schiebt die Ukraine Atommüll nach Russland ab, doch Ende 2017 läuft der Vertrag aus - und die Abfälle sollen zurückgebracht werden. Die Ex-Sowjetrepublik braucht also dringend ein Lager, mehr als eine Studie gibt es aber nicht.

Vor allem die Finanzierung des ukrainisch-amerikanischen Projekts gilt als offen. Melnitschenko räumt Probleme ein. "Der Bau beginnt 2016 - aber falls die Finanzierung so schlecht wie jetzt ist, wird natürlich nichts gebaut", sagt der Chef des Staatsunternehmens Radon. Auf dem Reißbrett wirken die Pläne beeindruckend, aber derzeit zahlt die Führung in Kiew nicht einmal die Gehälter der Angestellten rechtzeitig. Schon lange fragen sich Experten, wie das klamme Land seine milliardenteure Atombranche aufrechterhalten will.

"Das ist Staatsgeheimnis"

Denn die Ukraine hat nicht nur die Folgen der Katastrophe von 1986 zu bewältigen. Sie betreibt landesweit vier ältere Atomkraftwerke, die mehr als 50 Prozent des Energiebedarfs des Landes decken. Nach Angaben des Staatskonzerns Energoatom verbrauchen die Meiler jährlich 257 Tonnen Brennstoff. Aber nur im AKW Saporischschja existiert ein Zwischenlager - der Rest geht nach Russland. Wie viele Tonnen dort in der Wiederaufbereitungsanlage Majak im Ural und in Schelesnogorsk lagern, will Melnitschenko nicht sagen: "Das ist Staatsgeheimnis."

Umweltschützer fürchten, dass die Ukraine später auch ausländischen Atommüll lagern wird, falls die Deponie zehn Kilometer vom stillgelegten Kraftwerk Tschernobyl tatsächlich gebaut werden sollte. Das wäre zwar ein lukratives Geschäft, aber nach bisherigen Gesetzen illegal, meint Melnitschenko. Die Ukraine braucht jedoch Geld.

Ein Zerren und Zehren

Zum einen zehrt ein Krieg zwischen Regierungseinheiten und prorussischen Separatisten den zweitgrößten Flächenstaat Europas aus. Zum anderen kostet die Wiederaufbereitung und Zwischenlagerung von Atommüll das Land schon jetzt jährlich 200 Millionen Dollar (185,67 Mio. Euro). Durch den politischen Konflikt mit Russland dürften die Kosten weiter steigen. Zudem hatte die Ukraine vor kurzem angekündigt, auf russische Brennstäbe verzichten zu wollen. Stattdessen setzt die Führung in Kiew auf US-amerikanische Produkte.