Im Prozess um die tödlichen Bomben auf den Boston-Marathon wird es von diesem Dienstag an ernst. In den nächsten Wochen geht es darum, ob der 21-jährige verurteilte Dzhokhar Tsarnaev leben darf oder die Todesstrafe bekommt. Dass ausgerechnet einen Tag vor dem Beginn der Verhandlungen um das Strafmaß wieder 30.000 Läufer zu dem traditionellen Marathonlauf am Start stehen, ist reiner Zufall.

Die Vorfreude auf das Sportereignis war groß, die Sicherheitsmaßnahmen sind es auch. Sogar Anti-Drohnen-Technologie stand zum Einsatz, wie Bürgermeister Martin Walsh vor dem Startschuss verriet. Zudem 100 Überwachsungskameras, jede Menge Polizisten, auch in zivil. Zwar ist es schon der zweite Lauf seit dem Terroranschlag 2013 - doch die Nervosität ist noch längst nicht verflogen.

Drei Tote, 260 Verletzte

Drei Menschen starben, 260 wurden zum Teil schwer verletzt, als am 15. April 2013 die beiden Bomben explodierten. "Die Anschläge werden niemals vergessen. Sie werden immer ein Teil der Geschichte dieses Marathons sein", meint Shane O'Hare, der damals dabei war.

100.000 Blumen haben die Veranstalter entlang der Marathon-Strecke gepflanzt, sie sollten nach einem extremen Winter nicht nur Frühlingsgefühle verbreiten. "Boston Strong" ist auf den Töpfen zu lesen. Soll heißen: Boston ist stark - und lässt sich von Terroristen nicht unterkriegen .

Im Gerichtssaal herrscht Hochspannung. Todesstrafe oder nicht? Die Lage ist vertrackt. Einerserseits: Der liberale Bundesstaat Massachusetts hat die Todesstrafe schon vor langer Zeit abgeschafft. Andererseits: Tsarnaev steht vor einem Bundesgericht, die Todesstrafe ist also möglich - theoretisch zumindest.

Offener Brief von Angehörigen

Noch am Wochenende meldeten sich überraschend Hinterbliebene zu Wort: Zwei Angehörige von Opfern riefen die US-Regierung in einem offenen Brief auf, von ihrer Forderung der Todesstrafe abzurücken. Denn diese könnte das Verfahren um Monate oder gar Jahre in die Länge ziehen. Den "schmerzhaftesten Tag unseres Lebens" müssten die Eltern eines achtjährigen Buben, der bei dem Anschlag ums Leben kam, dadurch nur noch länger ertragen, heißt es im vom "Boston Globe" veröffentlichten Brief.

Die Strategie der Verteidigung ist klar: Der damals 19 Jahre alte Tsarnaev sei lediglich ein Mitläufer, ein Verführter seines älteren, radikalisierten Bruders Tamerlan gewesen. Tamerlan sei der Drahtzieher gewesen, er sei es auch gewesen, der bei der Verfolgungsjagd nach dem Anschlag einen Polizisten erschoss - bis er selbst im Kugelhagel starb.

"Er war es"

Dass der aus Tschetschenien stammende junge Mann, der vor Gericht steht, bei dem Anschlag beteiligt war - daraus machte die Verteidigung von Anfang an keinen Hehl. "Er war es", hatte Verteidigerin Judy Clarke in ihrem Eröffnungsplädoyer Anfang März gesagt - ein Satz, der nicht gerade zum Standardvokabular eines Strafverteidigers zählt.

"Es wird schwer für diese Jury, ein Todesurteil zu fällen", glaubt Bill Blum, ein in Los Angeles arbeitender Ex-Richter und Anwalt für Todeskandidaten. Die Verteidiger wollten der Staatsanwaltschaft vermutlich den Wind aus den Segeln nehmen, indem sie Tsarnaevs Beteiligung an dem Terroranschlag nicht abstreiten und den Einfluss Tamerlans aufzeigen, sagt er. "Ihr Job wird während der Strafmaß-Phase sein, den jungen Mann zu vermenschlichen."