Es fällt schwer, diesen Film anzuschauen - auch in einem Amerika, in dem vielerorts Waffengewalt alltäglich ist und Internetvideos die Menschen immer häufiger zu Augenzeugen machen. Der Schwarze Walter Scott war 50, Vater von vier Kindern, frisch verlobt und stolzer Besitzer eines neuen Mercedes-Benz. Der Polizist Michael Slager hält ihn an, wegen eines kaputten Rücklichts am Auto, so der Beamte.

Acht Schüsse

Das mag, wie man jetzt weiß, vielleicht das einzige sein, was an der Darstellung des 33-Jährigen stimmt. Der Beamte hat Pech. Jemand sieht, wie er den flüchtenden Scott verfolgt, filmt mit seinem Handy, wie Slager schießt - nicht einmal, nein achtmal. Bis Scott reglos am Boden liegt.

Das Pech für den Polizisten ist Glück für die Gemeinde. Anders als in Ferguson, Missouri, wo bis heute niemand genau weiß, was sich kurz vor den tödlichen Schüssen des weißen Polizisten Darryl Wilson auf den Teenager Michael Brown abspielte, schafft das Video in den wesentlichen Punkten Klarheit. Es besteht kaum Zweifel daran, dass hier ein allem Anschein nach unbewaffneter Schwarzer gezielt getötet wird, wie zahlreiche Rechtsexperten am Mittwoch in verschiedenen US-Fernsehsendungen betonten. Das ermöglicht es den zuständigen Stellen, rasch und konsequent zu handeln, also richtig zu machen, was in Ferguson falsch lief, wie etwa John Darby von der Schwarzen-Organsisation NAACP in der "Washington Post" erklärte.

Das heißt: Anders als in dem kleinen Vorort von St. Louis läuft sofort ein Verfahren an, das Transparenz verspricht. Ein Konfliktpotenzial, das in Ferguson explodierte, bleibt North Hollywood so möglicherweise erspart.

So findet auch der Bürgermeister der Stadt, Keith Summey, die richtigen Worte. "Wenn du falsch liegst, liegst du falsch", sagte er, als er am Dienstagabend (Ortszeit) die Mordanklage gegen den Polizisten bekannt gab. "Wenn du eine schlechte Entscheidung fällst, egal, ob du eine Polizeimarke hast oder schlicht ein Bürger auf der Straße bist, musst du mit der Entscheidung leben."

North Charleston bemüht sich nach dem blutigen Vorfall, nicht auch noch zum Symbol explodierender Zerrissenheit zu werden. Die Justiz ermittelt, was auch den trauernden Angehörigen zumindest etwas Trost gibt. "Alles was wir wollten, ist, dass die Wahrheit herauskommt", sagt etwa ein Bruder des Erschossenen dem Sender CNN.

Doch im Hintergrund brennt die Frage: Was wäre gewesen, wenn es nicht jenen zufälligen Augenzeugen gegeben hätte, der geistesgegenwärtig sein Handy zückte? Wäre der Polizist mit seiner Darstellung durchgekommen, dass ihm Scott seine Elektroschockwaffe entrissen hatte und er um sein Leben fürchtete? Das beschäftigte am Mittwoch gewiss nicht nur die Menschen in North Charleston. Und wie kann es sein, dass beinahe so etwas wie Dankbarkeit herrscht, weil diesmal ein weißer Polizist rasch wegen Mordes angeklagt wurde, ohne dass die Behörden lange fackeln?

"Ich bin auf positive Weise geschockt"

Reverend Darby, der Mann von der NAACP, gibt die Antwort. "Ich bin auf positive Weise geschockt. Denn so weit ich mich erinnern kann, hat es keinen anderen Fall in South Carolina gegeben, in dem ein Polizist wegen so einer Sache zur Rechenschaft gezogen wurde", sagt der Reverend. "Zuerst dachte ich: Nicht schon wieder - wieder so ein Fall, wo das Wort eines Polizisten gegen jene steht, die als gemeine Straftäter porträtiert werden."

Es wirft auch ein Schlaglicht auf das Misstrauen gegen die Polizeiabteilung von North Charleston, dass der junge Videofilmer anonym blieben wollte und seine Aufzeichnung zunächst der Scott-Familie übergab, und nicht den Behörden. Da offenbarten sich ganz klar Zweifel an einer schonungslosen Strafverfolgung.

Was die Öffentlichkeit via Medien mittlerweile über North Charleston erfahren hat, klingt allzu vertraut. Die drittgrößte Stadt in South Carolina ist bei weitem ärmer als ihr fast angrenzende Quasi-Namensschwester Charleston. Hier konnten sich viele Afroamerikaner das Leben nicht leisten, zogen nach North Charleston, das jetzt zu 47 Prozent schwarz und zu 41 Prozent weiß ist. Aber nicht einmal 20 Prozent der örtlichen Polizeibeamten sind Afroamerikaner, wie die Zeitung "Post and Courier" berichtet.

Kein Einzelfall

Vor allem in den letzten Jahren waren dem Blatt zufolge die Spannungen zwischen der weißen Polizeimacht und der schwarzen Bevölkerung groß. Aggressive Taktiken wie das sogenanntes Racial Profiling, bei dem Polizisten gezielt Schwarze ins Visier nehmen, hätten viele Einwohner erbost.

Nach Ferguson und einer Reihe anderer spektakulärer Vorfälle brutaler weißer Gewalt gegen Schwarze ist Präsident Barack Obama persönlich aktiv geworden. Er hofft etwa, durch bessere Ausbildung von Polizisten das Problem etwas entschärfen zu können. Auch führen immer mehr Polizeiabteilungen Körperkameras für die Beamten ein. Aber zumindest am Mittwoch war Scotts Bruder wohl nicht der einzige, der fragte: "Wie kann man sein Leben bei einer Verkehrskontrolle verlieren?"

GABRIELE CHWALLEK