Am Ende der eineinhalbtägigen Rettungsaktion ging Kapitän Argilio Giacomazzi am Montagnachmittag als letzter von Bord, wie die italienische Küstenwache mitteilte. Das Drama begann am frühen Sonntagmorgen, als auf einem Autodeck der Adria-Fähre "Norman Atlantic" ein Feuer ausbrach und sich rasend schnell ausbreitete. Manövrierunfähig trieb das brennende Schiff, auf dem sich auch fünf Österreicher befanden, in Richtung albanischer Küste.

Am Montagabend bestätigte der Sprecher des Außenministeriums, Martin Weiss, der APA, dass auch der letzte Österreicher an Bord, der Salzburger Erwin Schrümpf, in Sicherheit sei. Er sei nach Angaben der italienischen Küstenwache mittlerweile an Bord des italienischen Marineschiffs "San Giorgio", so Weiss. Bis zuletzt hatte zu Schrümpf kein Kontakt bestanden.

"Es war nur ein Rettungsboot im Wasser und niemand von der Besatzung war da, um den Menschen zu helfen", sagte einer der ersten Passagiere, die von einem Handelsschiff gerettet und im italienischen Bari an Land gebracht wurden. "Wir dachten alle, wir sterben."

Zwar konnte das Feuer bis zum Sonntagabend unter Kontrolle gebracht werden, doch stieg weiter schwarzer Qualm aus dem schlingernden Schiff auf. Mit Hubschraubern und Löschbooten kämpften die Rettungsmannschaften auch über Nacht gegen die Zeit. Trotzdem saßen am Montagmorgen, mehr als 24 Stunden nach Ausbruch des Feuers, noch immer rund 200 Menschen auf der "Norman Atlantic" fest.

Erst als ein Marineschiff mit Hubschrauberlandeplatz am Unglücksort eintraf, konnten die völlig verängstigten und frierenden Passagiere schneller in Sicherheit gebracht werden. Wie die italienische Regierung nach Abschluss der Rettungsaktion mitteilte, wurden 427 Menschen gerettet, darunter die 56 Besatzungsmitglieder. Laut Passagierliste waren allerdings 478 Menschen an Bord, das Schicksal von 41 Passagieren war somit zunächst weiter unklar.

Der italienische Verkehrsminister Maurizio Lupi sagte, die Liste sei möglicherweise nicht korrekt. Solange die genaue Zahl der Fährinsassen aber nicht geklärt sei, werde die Suche nach möglichen Vermissten fortgesetzt. Allerdings lässt sich auch von den Berichten der Überlebenden nicht auf den Tod von Dutzenden Menschen schließen.

Nach Angaben des griechischen Ministers für Handelsschifffahrt, Miltiadis Varvitsiotis, wurden Menschen gerettet, die nicht auf der Passagierliste standen. Wie Varvitsiotis am Montag im Fernsehsender Mega sagte, waren ungefähr zwanzig Unbekannte unter den Geretteten, die eine griechische Militärmaschine im italienischen Bari aufnehmen sollte.

Griechenland habe eine komplette Liste mit den Namen der geretteten Personen beantragt. Seit Sonntag früh liegt die Leitung des Rettungseinsatzes bei Italien. Zwischen beiden Ländern herrscht Unklarheit über die Zahl der Menschen, die auf der unter italienischer Flagge fahrenden Unglücksfähre waren. Die ursprüngliche Liste mit den Passagieren und Besatzungsmitgliedern enthält 478 Namen. Von diesen wurden nach italienischen Angaben 427 geborgen, mindestens zehn sollen tot sein. Über den Verbleib Dutzender weiterer Menschen herrscht Unklarheit.

Viele der Geretteten machten der offenbar völlig überforderten Crew schwere Vorwürfe. "Jeder war von Panik ergriffen, niemand sagte uns, was wir tun sollten", sagte die griechische Passagierin Athina Pappas nach ihrer Rettung der Zeitung "Ethnos". Ein 62-jähriger Grieche war am Sonntag mit seiner Frau ins Wasser gesprungen oder gestürzt und schaffte es nicht, ein Rettungsboot zu erreichen. "Wir waren vier Stunden im Wasser", sagte die Frau der italienischen Nachrichtenagentur Ansa. "Er sagte: 'Wir sterben, wir sterben'", berichtete Teodora Douli. "Ich konnte ihn nicht retten."

Die italienische Staatsanwaltschaft nahm strafrechtliche Ermittlungen auf. Es solle vor allem geprüft werden, ob Fahrlässigkeit zu dem Unglück geführt habe, teilte Staatsanwalt Giuseppe Volpe in Bari mit. Zudem sei Gegenstand der Ermittlungen, wie das Feuer ausbrach und warum es sich so rasend schnell ausbreiten konnte.

Die griechische Fährlinie Anek hatte die fünf Jahre alte Fähre von der italienischen Firma Visemar gechartert. Sie hat Platz für 490 Passagiere, war also nicht überbucht. Eigentümer Carlo Visentini sagte seine Zusammenarbeit bei den Ermittlungen zu. Nach seinen Angaben gab es erst am 19. Dezember eine Inspektion, bei der auch die Brandschutztüren überprüft wurden. Dabei sei eine "leichte Fehlfunktion" aufgefallen, die aber "zur Zufriedenheit der Inspektoren" behoben worden sei.