Nach dem Kindersex-Skandal von Rotherham beginnt nun die große Abrechnung - und in ganz Großbritannien fragt man sich in Städten mit starker Muslimbevölkerung: Verhindert auch bei uns übertriebene Angst vor Rassismus die Aufklärung von Verbrechen?

Der "Sex Grooming Skandal" von Rotherham hat die Nation aufgerüttelt. 16 Jahre lang wurden 1400 minderjährige Mädchen von vorwiegend asiatischen Männern abhängig gemacht und als Sexobjekte herumgereicht - die Gesellschaft ließ sie im Stich: Aus Angst, rassistische Vorurteile zu wecken. Wenige sagten es so unverblümt wie der UKIP Europaparlamentarier für die Region Yorkshire, Amjad Bashir, selbst pakistanischen Ursprungs. "Unsere Gemeinschaft muss akzeptieren, dass wir ein Problem haben." Nicht weniger offen war der ehemalige Labourabgeordnete, Ex-Europaminister Denis McShane. Niemand habe ihn in 18 Jahren auf das Problem angesprochen, aber ihm sei "die Unterdrückung von Frauen in Teilen der Muslimgemeinschaft bewusst gewesen". Niemand habe "das Boot des Multikulturalismus ins Schaukeln bringen wollen."

Der Skandal war 2011 von der "Times" und ihrem Yorkshire Korrespondenten Andrew Norfolk aufgedeckt worden, der durch die Serie ganz ähnlicher Polizeiberichte und Prozesse stutzig geworden war. "Die Opfer waren immer zwischen 12 und 15 Jahre alt, der erste Kontakt war in der Öffentlichkeit - in Einkaufszentren, Bahnhöfen - und ein Prozess des Gefügigmachens ("grooming") begann". Nun reden immer mehr Frauen. Eine heute 22-Jährige erzählte der "Sun", dass sie ihre Peiniger mit elf Jahren kennenlernte. Sie gaben ihr Alkohol und Cannabis, dafür verlangten sie Sex. Sie habe damals stundenlang mit Sozialarbeitern geredet. Geschützt hat sie niemand. "Die Polizei sagte, du legst es doch darauf an."

Ein Polizist unter den Tätern

Als der Journalist im August 2010 im Radio von einem Prozess in Manchester hörte, bei dem neun Männer verurteilt wurden, wurden keine Namen genannt. "Ich hätte meine Ersparnisse gewettet, dass es muslimische Namen waren". 2011 berichtete die Times zum ersten Mal groß über die asiatischen "Sexbanden" und die "Verschwörung des Schweigens". Ein Tabu war gebrochen. In britischen Prozess- und Polizeiberichten wird nie Bezug auf Hautfarbe oder ethnische Herkunft genommen. Nun war klar, dass Muslime weiße Mädchen aus Verachtung für westliche Unmoral als Flittchen oder, wie der frühere Innenminister Jack Straw sagte, "williges Fleisch" betrachteten. In Rochdale wurde ein Mädchen betrunken gemacht und von 25 Männern vergewaltigt. Auch ein Polizist war in den Sex-Skandal verwickelt, der 27-Jährige wurde bereits im Vorjahr festgenommen und angeklagt.

2012 berichtete die Times gezielt über Rotherham und ein Mädchen, den Fall Amy. Der Zeitung lagen 200 Dokumente vor, denen zufolge "Polizei und Gemeindebehörden genau wussten, was Hunderten von Mädchen passierte und oft auch die Namen der Täter. Aber unweigerlich sahen sie weg", schrieb Norfolk am Donnerstag. Der Gemeinderat von Rotherham ordnete nach dem Bericht eine Untersuchung an - nicht der Sexbanden, sondern um zu eruieren, wer ihm die Dokumente zuspielte.

Rechtsanwälte fordern jetzt für jedes Opfer 100.000 Pfund (125.700 Euro) Kompensation - und strengen einen Gruppenprozess an. Die Führung der Labour Partei in Rotherham steckt in einer Krise. Polizeivorstand Shaun Wright, im Vorjahr in den neuen Aufsichtsposten gewählt, damit die Polizei direkt der demokratischen Kontrolle unterworfen wird, ist nicht absetzbar. Von freiwilligem Rücktritt, den das ganze Land, bis hinauf zur Innenministerin fordert, wollte er am Donnerstag immer noch nichts wissen.