In der muslimischen Welt sehen wir heftige Proteste gegen ein Anti-Islam-Video aus den USA und die Bilder ähneln denen, die wir 2005 als Reaktion auf die Mohammed-Karikaturen des dänischen Zeichners Kurt Westegaard gesehen haben. Warum reagieren die Menschen jedes Mal so hitzig?

KARIN KNEISSL: Es sind tiefsitzende Missverständnisse zwischen Ost und West, die immer wieder losbrechen. Man kann den Gewaltexzess von 2006 mit heute in Verbindung bringen, weil in beiden Fällen die Gewalt gezielt von Islamisten geschürt wurde. Die Mohammed-Karikaturen kamen am 30. September 2005 in einer regionalen Zeitung in Dänemark heraus und es dauerte bis Februar 2006, bis das zum Flächenbrand geworden ist. Ich sage dazu sarkastisch: Es mussten ja erst all die dänischen Flaggen genäht hatte, bevor man sie verbrennen konnte. Damals war es eine Gruppe von Imamen, die zündelten und sagten, da stünde die dänische Regierung dahinter. Es begann mit einem Boykott gesalzener dänischer Butter, führte zu Anschlägen auf Christen und endete in einem größeren Konflikt, der bis heute nicht verebbt ist.

Gab es einen Lösungsversuch?

KNEISSL: Einige diplomatische Apparate - allen voran die der skandinavischen Staaten - bemühten sich nach den Mohammed-Karikaturen den Schaden zu begrenzen, weil sie Interesse daran hatten, ihre gesalzene Butter wieder zu verkaufen. Man unternahm auch einige Dialogforen und dort stellte sich heraus, wie stark die Ressentiments sind und eine Ursache im Engagement westlicher Staaten in der arabischen Welt haben.

Warum fällt der geschürte Hass der radikalen islamisten auf so einen fruchtbaren Boden?

KNEISSL: Es sind letztlich die vielen ungelösten Probleme in der Region. Ob es der Nahost-Konflikt ist oder die anhaltenden, tiefsitzenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme sind, die heute noch um einiges schlimmer sind als zu Beginn des arabischen Frühlings. Da ist der Gewaltausbruch eine Art Ventil. War es damals gegen die eigenen säkularen Regierungen gerichtet, so ist es heute ein Ausbruch von Menschen, die einen kleinen, aus unserer Sicht banal anmutenden Anlass nehmen, um als Mob durch die Straßen zu ziehen.

Aber warum immer dieses religiöse Motiv als Auslöser?

KNEISSEL: In Afghanistan gab es vor einigen Jahren immer wieder die Meldung, ob nun Gerücht oder nicht Gerücht, dass US-Soldaten Koran-Seiten die Klospülung heruntergelassen hätten. Daraufhin sind dann Menschen getötet worden. Und ich frage mich als Nicht-Muslimen und als Nicht-Expertin für Islamwissenschaften, kann es sein, dass man ein Menschleben gegen einige Stück eines heiligen Buches aufwiegt. In meiner Auffassung ist das nicht gegenseitig aufzurechnen. Ich gestehe, ich kann das nicht logisch nachvollziehen. Es ist der hohe Stellenwert, den alles Religiöse hat. Vielleicht auch mangels einer Nische für Trennung von Religiösem und Nicht-Religiösem in diesen Staaten.

Man hört immer wieder den Verweis, wir im Westen seien eben viel weiter in der Aufklärung als in der arabischen Welt. Ist das eine mögliche Erklärung?

KNEISSL: Wir hatten im Christentum auch eine starke Vermengung von politischer und religiöser Gewalt. Es gab aber zwei Pole. Der eine in Form des Kaiser, der andere in Form des Papstes, die sich zwar immer wieder wechselseitig exkommunizierten oder verhaften ließen und so weiter, Aber es waren eben zwei Machtapparate, die sich einander gegenüberstanden. In der islamischen Welt ist das anders. Es gab dort zwar zu Beginn in den Kalifaten wie zum Beispiel in dem von Cordoba im achten und neunten Jahrhundert eine sehr pluralistisches und den Naturwissenschaften wohlgesonnenen Epoche. Doch im Islam haben wir von Anbeginn diese starke Vermengung von spiritueller und politischer Gewalt. Der Sultan war als weltliche Macht immer verbunden in Personalunion mit dem Kalifen als Nachfolger des Propheten. Hier ist schon von der Struktur her wenig Raum im Islam für ein säkulares Denken.

Wenn die sozialen Bedingungen bei uns schlechter wären, würde bei uns eine Provokation durch radikale Christen nicht auch auf fruchtbaren Boden fallen? Steckt nicht hinter dem FPÖ-Wahlslogan "Heimatliebe statt Marokkaner-Diebe" auch eine unterschwellige Botschaft gegen Muslime?

KNEISSL: Das sehe ich genauso. Manche teilen das nicht. Aber ich sage schon seit Jahr und Tag, dass das Risiko eines militanten Christentums auch bei uns aufbrechen würde, wenn alle Ideologien versagen. Gegenwärtig ist der Konsum noch die wesentliche Ersatzhandlung, weil vielfach der spirituelle Zugang abhanden gekommen ist. Aber wenn der Konsum nicht mehr möglich ist und der Kapitalismus als Ideologie versagt, ist das Risiko auch in Europa groß, dass man Menschen wieder leicht verführt und mobilisiert im Namen Gottes. In meinen Augen beginnt die Gotteslästerung genau dort, wo Menschen behaupten, sie wüssten, für welche politische Partei Gott wäre. Ich denke daran, wie Heinz-Christian Strache mit einem Kreuz für die FPÖ auftrat. Das erinnerte mich an Saddam Hussein 1995, als während des Kuwait-Krieges und der Mobilisierung gegen den Irak öffentlich in einer Moschee beten ging, was er zuvor in seinem Leben nie getan hatte. Man instrumentalisiert eine zur Schau getragene Frömmigkeit, um auf dieser Klaviatur zu spielen und fromme Gruppen zumobilisieren.

Haben diese Proteste auch mit der verfehlten Nahost-Politik von US-Präsident Barack Obama zu tun - er hat der muslimischen Welt symbolisch die Hand gereicht und offensichtlich ist diese Geste nicht angekommen worden?

KNEISSL: Ja. Obama, der ein begnadeter Rhetoriker ist, hat mit der Kairoer Rede 2009 die Latte hoch gesetzt und konnte sie nicht einhalten. Es war nicht geschickt, gleich einmal die beiden wesentlichen Kontrahenten Mahmut Abbas auf palästinensischer Seite und Benjamin Netanjahu aauf israelischer Seite nach Washington einzuladen und nicht zuerste die Handwerksarbeit im Hintergrund zu machen. Im Nahen Osten sind wir nach vier Jahren Obama keinen Schritt weiter gekommen und der arabische Frühling ist auf niemandes Konto zu schreiben. Da ist vieles aus der Region heraus gewachsen. Die US-Regierung hat sich heute in vielfacher Weise in eine Allianz begegeben, die mit Islamisten in enger Verbindung steht, wo sie sich viel schwerer tut, gewisse bewegungen als Feindbilder darzustellen.

Ist die arabische Revolution nach hinten los gegangen - zumindest aus westlicher Sicht?

KNEISSL: Auf jeden Fall. Was mich damals so überraschte und berührte war die Tatsache, dass sie als säkulare, bürgerliche Revolution begann - wie übrigens auch die iranische Revolution 1979, die dann in gewisser Weise gekidnappt wurde von den Religiösen. Und das ist auch jetzt der Fall.

Wie könnte wir im Westen auf die Proteste richtig reagieren?

KNEISSL: Ich bin froh, dass ich nur als Analysten spreche und nicht eine politische Entscheidung treffen muss. Es ist schwierig ein Rezept zu geben. Was mir aus gesetzgeberischer Sicht einfällt: Ich fände es nicht gut, wenn man sich in eine zu starke Selbstzensur hineinbegeben würde. Ich erinnere da an eine Idomeneo-Aufführung an der Deutschen Oper in Berlin aus Angst vor Übergriffen, weil man mit religiösen Motiven gespielt hat. Und ich habe mir im Zuge des Pussy-Riot-Prozesses in Russland angesehen, wie die Gesetzeslage in Österreich ist und auch bei uns gibt es dafür einen strafrechtlichen Tatbestand, was die Abwägung von Meinungsfreiheit und Verletzung religiöser Gefühle anbelangt und das ist aus meiner Sicht eine sehr gefährliche Gratwanderung.