Die Erinnerung an eine Facebook-Nachricht aus dem Jahr 2012. „Wir waren heute bowlen. Sebastian Kurz hat auf der Nebenbahn gespielt. Und dieser Winnertyp hat einen Strike nach dem anderen gelandet“, schrieb eine Bekannte. Womöglich das perfekte Sinnbild für die Karriere jenes Mannes, der sich anschickt, im Alter von 31 Jahren Österreichs jüngster Bundeskanzler zu werden.

Damals war Sebastian Kurz 26. Der eisige Gegenwind nach seiner Ernennung zum Integrationsstaatssekretär hatte sich verzogen, in den Beliebtheitsrankings stieg er empor und Kurz begann ein Machtnetzwerk zu spinnen, das bis heute verfeinert wird. In vielen Ministerien sitzen Personen an Schalthebeln, die wie er aus der Jungen ÖVP kommen. „Er hatte schon damals etwas, das ihn zu einem Magnet für Menschen, vor allem Junge gemacht hat“, erinnert sich Ex-Vizekanzler Michael Spindelegger, der den Parvenü in die Bundesregierung geholt hatte.

Ein Populist?

Heute hat Kurz die verkrustete Volkspartei in einen türkisen „Sebastian“-Fanclub mit sektoiden Zügen verwandelt. Wie einen Messias verehren ihn seine Adoranten – glauben, dass er Österreich nachhaltig verändern kann. Doch auch der Gegenwind frischt erneut auf. Der „Falter“ bezeichnet ihn als „Neo-Feschisten“. Im Magazin „Biber“ kommen Syrer zu Wort, die „Angst vor Kurz“ haben. Die New York Times erwecken Reminiszenzen an Österreichs Nazi-Vergangenheit. Für viele in der SPÖ ist Kurz ein „One-Hit-Wonder“ mit nur einem Thema, ein „gnadenloser Populist“ und „Blender“.

Freund und Feind gehen jedoch d’accord, dass hier ein ausnehmendes politisches Verkaufstalent am Werk ist. Wie arbeitet Kurz, was macht ihn so erfolgreich? Wegbegleiter und Beobachter zeichnen das Bild eines disziplinierten, selbstbewussten Politikers mit einem Instinkt für den richtigen Zeitpunkt. „Als Chef hat er einen hohen Anspruch an Perfektion, laut wird er aber nie“, erzählt ein Mitarbeiter. „Konsequent, extrem reflektiert, respektvoll“, urteilt der Strategieberater Daniel Kapp, früher Pressesprecher von Josef Pröll. Gesprächspartnern – ob Hilfsarbeiter oder Uniprofessor – bringe er Wertschätzung entgegen.

Ein guter Zuhörer

Die vielleicht größten Stärken des ÖVP-Chefs: zuhören und schnell lernen. „Er saugt Informationen auf und redet auch mit vielen, die nicht seiner Meinung sind“, sagt Heidi Glück, PR-Beraterin und langjährige Sprecherin von Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel. Letzterer würde sich, wie Pröll, in der zweiten Ebene eines „Zwiebelschalenprinzips“ finden, gemeinsam mit Unternehmern wie Stefan Pierer oder Niki Lauda. „Da hört er zu, stellt Fragen und zieht Rückschlüsse“, meint Kapp, der sich selbst eher in der dritten „Schale“ sieht: Menschen, die ab und zu für Feedback kontaktiert werden.

Die erste Ebene ist das enge, loyale Team rund um Kurz. Seine langjährigen Vertrauten Stefan Steiner und Axel Melchior, die persönliche Assistentin Lisa Wieser, Pressesprecher Gerald Fleischmann, Generalsekretärin Elisabeth Köstinger. Dazu Kampagnenchef Philipp Maderthaner. „Kurz schaffte es, eine eingeschworene Truppe zu formen, die den Wahlkampf mit eiserner Disziplin durchzog“, sagt PR-Profi Josef Kalina, vor Jahren SPÖ-Bundesgeschäftsführer. Konsequent blieb man auch in Drucksituationen auf der „Message“, hielt an der Strategie fest.

Der Vergleich mit Wolfgang Schüssel

Bei Themen wie Wirtschaftspolitik beließ es Kurz bei Überschriften. „Seine eigentlichen Inhalte kenne ich noch nicht“, moniert Ex-ÖVP-Chef Erhard Busek. „Aber es ist eindrucksvoll, wie er das alles macht.“ Die Partei wird straff geführt. Der Schwenk nach rechts wird zur Kenntnis genommen. Kritiker, die eine breitere Aufstellung fordern, haben es schwer. Den Eindruck, dass Kurz „besserwisserisch“ geworden sei, teilt Glück nicht: „Er ist auf dem Boden geblieben und wahnsinnig fleißig.“

Das Einen-Schritt-Vorausdenken, strategische Fähigkeiten, Führungstalent – das verbindet den 31-Jährigen mit Schüssel. Dieser war freilich intellektueller und detailverliebter. Kurz bleibt mehr an der Oberfläche, ist pragmatisch, freundlich. Nicht immer hört er auf Ratschläge: „Einige rieten ihm nach der Zeit als Staatssekretär sein Jus-Studium zu beenden, in der Wirtschaft zu arbeiten und nach einigen Jahren zurückzukehren“, erzählt Busek. Der Machthunger des „Berufspolitikers“ (Kalina) war zu stark.

Autoritäre Züge?

Akribisch vorbereitet war er zur Stelle, als ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner resignierend das Handtuch warf. Dass er selbst Vasallen ausschickte, um die Arbeit der Koalition zu desavouieren, bestreitet Kurz. „Er ist schon sehr zielstrebig“, sagt der Neos-Abgeordnete Sepp Schellhorn, den Kurz auf seine Liste holen wollte, mit dem Versprechen, Wirtschaftsminister zu werden. „Zu akzeptieren, dass man solche Angebote ablehnt, damit tut er sich schwer.“ Spindelegger findet Vergleiche mit Viktor Orbán „absurd“. Kurz habe sich „kaum verändert“. Busek widerspricht: „Ich habe den Eindruck, dass er mit dem Erfolg ein wenig autoritär wird.“

Für Außenstehende wirkt „Mr. Teflon“ zunehmend unnahbarer, empfindlich bei medialer Kritik. „Diese Dünnhäutigkeit sehen wir bei vielen Spitzenpolitikern“, sagt der Politikanalyst Thomas Hofer. „Den enormen Druck meistert er für sein Alter aber erstaunlich.“ In der Kurz’schen Politik seien „Haider-Versatzstücke“ zu finden. „Der polarisierte aber stärker“, sagt die Meinungsforscherin Eva Zeglovits. „Haider liebte es, Rollen zu spielen. Manchmal gingen die Emotionen mit ihm durch.“ Dafür ist Kurz zu kontrolliert. „Es besteht die Gefahr, dass er seine Natürlichkeit verliert. Weil er glaubt, besonders seriös sein zu müssen“, sagt Körpersprache-Experte Stefan Verra.

Spaßbremse Kurz? „Im persönlichen Gespräch rennt auch der Schmäh und du siehst den Schalk in den Augen“, sagt Kapp. „Er kann gut über sich selbst lachen“, erzählt eine Mitarbeiterin. Kurz’ Privatleben wird zur Mischung aus Diskretion und Inszenierung. In Wahlkampfvideos wurden Herkunft, Familie, Freunde präsentiert. Auch Freundin Susanne Thier ist präsent. Mit ihr ist der begeisterte Sportler seit 13 Jahren – mit Unterbrechungen – zusammen. Die Zeiten, in denen er sich als Partytiger im Wiener Nachtleben gerierte, scheinen vorbei.

Alles nur Inszenierung?

Mit seiner strikten Haltung zur Migration hat sich Kurz nicht nur Freunde gemacht. So erzählt Dudu Kückügöl, früher im Vorstand der Muslimischen Jugend, im Magazin „Focus“, wie enttäuscht sie von ihm sei. „Wir waren befreundet, heckten Projekte aus“, so Kückügöl. „Er hatte gute Freundinnen mit Kopftuch. Jetzt will er es verbieten.“

Ist der 31-Jährige nur das Produkt einer perfekten Inszenierung? „Das wird man sehen, wenn er die Chance hat, in der Regierung zu gestalten“, sagt der Politologe Fritz Plasser. „Aber er hat die Fähigkeit, Probleme mit unkonventionellen Annäherungen anzugehen.“ Glück glaubt, dass Kurz sich als Bundeskanzler „ein starkes Team“ zusammenstellen werde. Busek bleibt indes seiner Rolle als kritischer Begleiter treu. Für die Regierungskollegen werde es schwierig. „Er duldet keine Götter neben sich.“