Den Gag des Nachmittags lieferte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache: Der hatte allen Ernstes einen Notariatsakt im Gepäck, der SPÖ und ÖVP dazu verpflichten sollte, ihre rot-schwarze Koalition nach der Wahl nicht fortzusetzen.

Den Gefallen, dieses Papier zu signieren, taten ihm zwar weder Christian Kern noch Sebastian Kurz. Dennoch trat bei der einzigen direkten Dreierkonfrontation der Kanzleranwärter am Freitag in Linz vor allem eines deutlich zutage: Kern und Kurz sind durch mehr als nur einen Wahlkampf getrennt. Der 51-jährige amtierende Bundeskanzler und sein 31-jähriger Herausforderer ließen bei dem Aufeinandertreffen eine durchaus persönliche Animosität erkennen, die sich weniger in Worten als in der Körpersprache manifestierte.

FPÖ-Chef Karl-Heinz Strache brachte einen Notariatsakt mit
FPÖ-Chef Karl-Heinz Strache brachte einen Notariatsakt mit © APA/HERBERT NEUBAUER

Schon der Beginn verläuft frostig, mehr als ein flüchtiges, dünnes Lächeln haben die Koalitionschefs nicht füreinander übrig.

Als Kern die im Wahlkampf schon oft gehörten Kindheitserinnerungen zum Besten gibt („Ich war der Erste in meiner Familie, der Gratisschulbücher hatte, weil Bruno Kreisky jedem eine Chance gab“), mustert ihn Kurz argwöhnisch. Strache hingegen zeigt sich bestens gelaunt und beginnt mit einem launigen Spruch: „Als Fußballer wurde ich früher oft als rechter Flügelstürmer eingesetzt. Ich konnte aber auch von der linken Seite überraschen.“

Hier können Sie die Diskussion nachschauen:

Dann wird's politisch. Die Moderatoren Claudia Gigler (Kleine Zeitung) und Wolfgang Braun (Oberösterreichische Nachrichten) fragen Positionen zur Digitalisierung ab, woraus rasch eine intensive Bildungsdebatte wird. Kern warnt vor der Spaltung des Landes in wenige Gewinner und viele Verlierer: „In so einem Land wollen wir nicht leben. Österreich war immer die Geschichte des Gemeinsamen.“

Kurz will das Thema nicht nur negativ sehen, denn es würden durch die Digitalisierung auch viele neue Jobs entstehen. Man dürfe die Entwicklung nicht verschlafen. „Boom-Regionen wie Singapur sind uns weit voraus“, sagt Kurz und mahnt eine Entflechtung der auf Bund, Länder und Gemeinden verstreuten Zuständigkeiten im Schulwesen ein.

Jetzt ist es Kern, der genervt die Beine übereinanderschlägt und den ÖVP-Chef keines Blickes würdigt. „Der Herr Außenminister“ habe Dinge angesprochen, die man „schon noch im Detail beleuchten“ müsse. Nach 25 Minuten nennt Kern schon wieder Kreisky („Der würde heute natürlich Gratis-Tablets an Schüler verteilen“) und macht sich für die Zusammenlegung der Forschungsförderungs-Einrichtungen stark.

Als Kern durchblicken lässt, dass er bei der ÖVP-Forderung nach gesonderten Deutschklassen für Ausländerkinder „pragmatisch“ sei, reagiert Kurz mit einer spitzen Bemerkung: „Ich habe schon Schwierigkeiten, mir alle Bildungsminister zu merken, mit denen ich das seit Jahren verhandelt habe.“ Claudia Schmied und Gabriele Heinisch-Hosek hätten das abgelehnt, „und mit Sonja Hammerschmid ist es immer noch nicht möglich“.

Man könne Schule nicht „mit den Methoden aus der Maria-Theresia-Zeit“ erfolgreich organisieren, so Kurz. Doch die SPÖ sei „aufgrund einer Ideologie“ nicht dazu bereit, das System zu ändern.

Nach gut einer halben Stunde bläst Strache dann zum direkten Angriff auf Kurz: Er freue sich, dass man endlich zu dritt zusammensitze. „Denn bei Ihnen, Herr Kurz, hätte ich schon fast eine Vermisstenanzeige aufgegeben.“ Kurz kontert: Nur durch seine Absagen sei Strache bei den Wahlduellen im ORF überhaupt eingeladen gewesen.

Doch der FPÖ-Chef ist nicht mehr zu halten: „Der Herr Kurz wird noch ein richtiger Fan von mir! Jetzt, vor den Wahlen, übernimmt er als Spätzünder reihenweise unsere Vorschläge. Nur fehlt mir der Glaube der Umsetzung.“ Kurz täusche nur vor, alles ändern zu wollen, das sei „kein ehrlicher Weg“. Das „Liebeswerben um Kern“ für eine Fortsetzung der Koalition sei bei Kurz groß.

Diese Auflage verwertet prompt Kern, der die Kontrahenten fast schon mitleidig anblickt und trocken verkündet: „Eheprobleme sollte man im Wohnzimmer und nicht am offenen Balkon besprechen.“

SPÖ-Chef Christian Kern sah "Eheprobleme"
SPÖ-Chef Christian Kern sah "Eheprobleme" © APA/HERBERT NEUBAUER

Damit sind die Rollen in diesem Gespräch verteilt, und sie werden sich bis zum Schluss nicht wesentlich ändern: Strache attackiert Kurz, dieser zeigt sich als ungeduldiger Reformator und gibt den Schwarzen Peter des Verzögerers an Kern weiter. Kern seinerseits versucht, die Gefechte möglichst zu umgehen - er will weniger mit Kurz und Strache diskutieren, sondern lieber dem Publikum das SPÖ-Wahlprogramm anpreisen.

Das ändert sich erst ganz zum Schluss, als es um die Frage geht, wer mit wem eine neue Regierung bilden wird. Natürlich legt sich keiner fest. Aber als Kurz mögliche Personalrochaden nach der Wahl erwähnt, wird er gefragt, ob er sich mit SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil eine neue Regierung „besser“ vorstellen kann. Und prompt verlässt der Außenminister das diplomatische Parkett: „Es wäre jetzt uncharmant, das zu sagen. Richtig ist aber, dass ich mit ihm besser zusammengearbeitet habe.“

Mit Kern sei es „nicht immer einfach“ gewesen. Die Schließung der Mittelmeerroute habe der Kanzler zunächst als „Vollholler“ bezeichnet, erst später sei er dafür gewesen. „Das war schon eine Herausforderung, wenn einen der eigene Regierungschef behindert“, blickt Kurz zurück. Kern kontert mit den „unrealistischen“ Steuerreform-Versprechen von ÖVP und FPÖ, und der Nachmittag endet in ziemlich unversöhnlicher Stimmung.

Zuvor gibt es noch lange Wortgefechte zum beherrschenden Thema Zuwanderung und einige Anmerkungen zu Wirtschaftspolitik, Pensionen und Klimaschutz. Strache spricht natürlich vom „Flüchtlingschaos“ des Jahres 2015, damals sei man „über mich und den ungarischen Premier Viktor Orbán noch hergefallen“, weil sie die Grenzschließung wollten. „Wir haben eine Fairness-, Sicherheits- und Bildungskrise im Land“, fasst er seine Kritik zusammen.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz besetzte das Thema Migration
ÖVP-Chef Sebastian Kurz besetzte das Thema Migration © APA/HERBERT NEUBAUER

Dann erwähnt er noch die „Bonzenschutzmauer“ und „den Vollholler der Poller“ vor dem Bundeskanzleramt in Wien, und der Amtsinhaber ist ihm dankbar. Kern: „Danke für diese unfreundlichen Hinweise. Sonst hätte ich nach der Diskussion wieder drei Tage erklären müssen, dass ich nicht beabsichtige, mit Ihnen gemeinsam zu regieren.“ Darauf Strache schlagfertig: „Sie haben gesagt, Sie gehen in Opposition!“ Und Kern: „Abwarten!“

Der Kanzler verweist auf derzeit abnehmende Flüchtlingsströme und plädiert dafür, viel Geld in die Hand zu nehmen, um im Raum Syrien/Türkei „vernünftige Lager“ zu schaffen. Die Grenzkontrollen wolle man fortsetzen, solange der Außengrenzschutz der EU nicht funktioniere.

Kurz betont die „christlichsoziale Verantwortung“, in den Herkunftsländern zu helfen. Nur löse das noch nicht das Problem. Erst wenn man das rasche Bevölkerungswachstum in Afrika löse, könnten die Lebensbedingungen dort besser werden. Bis dahin müsse man einerseits die Grenzen schützen, andererseits beim Sozialsystem nicht zu viele Anreize bieten.

Die Frage eines Lesers, ob jemand das Pensionsantrittsalter anheben oder eine raschere Angleichung der Frauenpensionen wolle, verneinen alle drei Politiker. Die Zugänge sind freilich verschieden. Kurz: „Wir brauchen viele, die einzahlen, und wenige, die herausnehmen, sonst wird es irgendwann knapp.“ Kern: „Wir werden nicht jenen, die 900 Euro haben, erklären, dass sie uns auf der Tasche liegen.“ Strache: „Wenn jemand 40 bis 45 Jahre eingezahlt hat, soll er 1200 Euro Mindestpension sicher haben.“

Beim Thema Steuern greift Strache dann den Kanzler an. Beim SPÖ-Slogan „Holt euch, was euch zusteht“ müsse man fragen: „Wer hat's euch denn weggenommen? Das war die Regierung, die alle Leistungsträger mit Höchststeuern belastet hat.“ Kurz will die Familienbeihilfe für im Ausland wohnende Kinder streichen und wünscht sich „einen Umgang mit Steuergeld, der nicht anders ist, als wenn es das eigene Geld wäre“. Kern beteuert, einzig die SPÖ habe bei Steuersenkungen realistisch durchgerechnete Pläne. „Das ist der Unterschied.“

Und dann, ganz zum Ende, zeigt sich doch noch eine kleine Gemeinsamkeit: Auf die Umfragen, die einen Wahlsieg der ÖVP verheißen, möchte keiner der drei Herren viel geben. Strache, ganz Routinier: „Diese Spiele kenne ich seit zwölf Jahren.“