Frau Lunacek, Eva Glawischnig hat unter Hinweis auf ihre Gesundheit ihr Amt aufgegeben. Macht Politik krank?
Ulrike Lunacek: Nein, aber es ist wichtig, in Zeiten wie diesen klar zu sagen, wo Grenzen sind, und sich Pausen zu nehmen.

Kann man das so einfach?
Lunacek: Es ist nicht leicht, aber wenn man ein gutes Team hat, kann man das schon machen. Die Anforderungen sind gewachsen. Als ich bei den Grünen vor 22 Jahren angefangen habe, da gab es die Handys gerade, noch kein Internet wie heute, soziale Medien gar nicht. Ich werde oft attackiert – als Frau, als Lesbe, als Grüne. Da muss man sich schon eine gewisse Härte zulegen.

Haben Sie die?
Lunacek: Ich habe bei manchen Dingen eine dicke Haut, aber ich habe mir auch meine Sensibilität bewahrt.

Wir schafft man diesen Spagat? Sie wirken nicht verhärtet.
Lunacek: Überhaupt nicht, ich lebe ja auch gerne. Das darf man sich durch die Politik nicht vermiesen lassen. Aber es ist nicht immer leicht. In diesen Spitzenpositionen gibt es manchmal Momente, in denen du dir denkst, ist es das wert? Man ist keine Privatperson mehr, außer in den eigenen vier Wänden.

Das muss man auch genießen.
Lunacek: Eben. Das macht ja auch Freude, wenn dich Leute auf der Straße erkennen, aber manchmal gibt es Momente, wo man gerne inkognito wohin gehen möchte. Ich versuche, regelmäßig schwimmen zu gehen, ich fahre mit dem Fahrrad, auch als Fortbewegungsmittel – das hilft schon, mir meine Freiräume zu sichern. Ich bin eine Kämpferin und das habe ich auch in vielen Bereichen schon bewiesen.

Sie sind in einem Raiffeisen-Haushalt aufgewachsen. Wie wird man da Grüne?
Lunacek: Genau deshalb (lacht). Ich komme aus einem bürgerlich-konservativen Haushalt und einer Familie, die sehr weltoffen war. Es hat damit zu tun, dass meine Tante nach England ausgewandert ist, ein Cousin meines Vaters in Brasilien lebte und meine Eltern Englisch gesprochen haben zu Hause, wenn wir es nicht verstehen sollten, mein Bruder und ich. Dann war ich auch noch offen eine lesbische Frau, das wussten meine Eltern schon länger und sind auch sehr gut damit umgegangen. Es war nicht einfach für sie, aber sie haben mich so respektiert. Das habe ich meinen Eltern bei allem Konservativismus sehr hoch angerechnet. Das war vielleicht auch der Grund, warum ich Grüne wurde. Und die Umweltfragen waren mir auch wichtig. Bei jeder Wanderung mit meinen Eltern gab es Fragen wie „Wie heißt diese Blume?“, „Wie heißt dieser Baum?“, „Welche Berge sind das?“.

Frau Glawischnig hat vor einer Doppelspitze gewarnt.
Lunacek: Ingrid Felipe und ich kennen einander schon lange und können gut miteinander. Wir sind beide sehr lösungsorientierte Frauen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass diese Art von Zusammenarbeit Frauen besser als Männer können.


Sie wollen als Europa-Partei antreten. Ihre Europa-Vision?
Lunacek: Ich bin eine glühende Europäerin, weil ich sehe, was wir auf diesem Kontinent erreicht haben. Das ist nirgendwo anders gelungen. Es gibt aber Schwachstellen. Durch die neoliberale Globalisierung seit den 90er-Jahren ist die soziale Ebene in Europa unter den Tisch gefallen. Konzerne haben die Oberhand gegenüber der Politik gewonnen und die Politik ließ es sich gefallen. Deshalb haben viele Menschen den Glauben daran verloren, dass diese EU für sie da ist. Ich will für ein soziales Europa kämpfen, für eine Sozialunion.

Was wäre das?
Lunacek: Dinge wie ein Mindestlohn in jedem Land – das muss es geben. Es geht nicht, dass Hungerlöhne gezahlt werden. Die Maastricht-Kriterien müssen auch das Soziale berücksichtigen, nicht nur auf die Wirtschaftsleistung abzielen.

Was halten Sie von „Vereinigten Staaten von Europa“?
Lunacek: Das ist eine sinnvolle Vision. Ich fände aber den Ausdruck „Republik Europa“ besser, weil es um die „res publica“ geht, darum, dass man die Bürgerinnen und Bürger wirklich ins Zentrum stellt und nicht die Staaten.

Was wäre in der Republik Europa anders?
Lunacek: Der Rat, also die Regierungen der Mitgliedsstaaten, bildete eine zweite parlamentarische Kammer, wo mit Mehrheiten entschieden wird.

Sie wollen unbedingt die Regierungsbeteiligung der FPÖ verhindern. Warum?
Lunacek: Die FPÖ ist eine jener Parteien, die daran arbeiten, diese Europäische Union zu zerstören, auch wenn sie das jetzt leugnet. Mein Anliegen ist genau das Gegenteil davon. Deswegen will ich die FPÖ nicht in der österreichischen Bundesregierung sehen und deshalb strebe ich auch eine Regierungsbeteiligung der Grünen an.

Vielleicht wird es ja wieder eine Große Koalition?
Lunacek: Das kann ich mir derzeit gar nicht vorstellen, aber es passieren Dinge in diesem Land, die sich vorher niemand vorstellen konnte, also insofern – wer weiß?