Herr Nationalratspräsident Sobotka, der Skandal rund um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), dem Sie als Innenminister vorstanden, holt Sie im neuen Amt ein. Wie würden Sie erklären, was dort jetzt passiert?

WOLFGANG SOBOTKA: Wenn derartige Vorwürfe im Raum stehen, braucht es Aufklärung. Alleine schon deshalb, weil das zu Recht hohe Vertrauen in die Polizei keinen Schaden nehmen darf. Ermittlungen gab es auch zu meiner Zeit immer wieder in unterschiedlichen Bereichen, das ist nichts Außergewöhnliches - durch das Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung oder von der Staatsanwaltschaft. Jeder Hinweis wurde geprüft und ernst genommen.

In dieser Causa?

Nicht in derselben Causa, nein. Zu meiner Zeit ging aus den Berichten des Rechtsschutzbeauftragten aber hervor, dass es nichts zu beanstanden und keine konkreten Hinweise gibt. Sollte es jetzt andere Verdachtsfälle geben, muss das sauber ermittelt werden. Die Frage ist, inwieweit sensible Polizeidaten dann öffentlich gemacht werden. Das müssen aber die jetzt Zuständigen klären.

Ein Untersuchungsausschuss?

Das Parlament ist der Ort der Aufklärung, das habe ich immer wieder gesagt. Wenn Vorfälle aufgeklärt werden müssen, natürlich.

Stimmt es, dass die ÖVP erwogen hat, einen zu beantragen?

Das wurde meines Wissens auch thematisiert. Darüber müssten Sie mit dem ÖVP-Klubobmann reden. Als Nationalratspräsident habe ich dafür zu sorgen, dass ein Untersuchungsausschuss bestmöglich aufgesetzt ist, sodass es nicht im Nachhinein Probleme mit rechtlichen Unklarheiten gibt. Deshalb wurde auch eine Einschätzung des Rechtsdienstes erbeten, ob diese Themenstellung dem gesetzlichen Rahmen entspricht.

Was wäre jetzt der schnellste Weg zum Ausschuss?

Es ist weder Gefahr im Verzug noch sonst etwas. Die SPÖ kann zum Verfassungsgerichtshof gehen oder einen neuen Antrag stellen. Beide Wege sind offen. Der VfGH würde sicher schnell entscheiden.

Dass Ihr Nachfolger eine bereits ad acta gelegte Causa wieder aufgreift und die Staatsanwaltschaft neuerlich ermittelt, empfinden Sie das nicht als Vorwurf? Man könnte auch sagen, das hätten Sie auch tun können.

Ich bin heute in anderer Funktion, gestatten Sie mir, dass ich mich dazu nicht äußern möchte. Ich fühle mich aber nicht angegriffen. Jeder Minister muss wissen, wie er sein Ressort führt. In dem Moment, als ich das Ministerium verlassen habe, war ich auf meine neue Aufgabe fokussiert. Dabei möchte ich es auch belassen.

Sie haben einmal bei einer Diskussion das Wort „Austrofaschismus“ für das Dollfuß-Regime verwendet. Jetzt haben Sie in einer Einladung den Ständestaat eine „Diktatur mit ständischen und faschistischen Begleiterscheinungen“ genannt. Warum?

Da muss ich mich korrigieren, das war damals ein Fehler. Das war eine Kanzlerdiktatur mit faschistoiden Zügen, aber es gab noch keine Gleichschaltung des ganzen Landes. Diese Einschätzung teilten auch alle drei Historiker, die bei der Gedenkveranstaltung anlässlich der Ausschaltung des Parlaments diskutiert haben. Es ist kein totalitäres Regime gewesen.

Was war es denn?

Das Dollfuß-Regime hat nicht den ganzen Staat umfasst. Die Gleichschaltung ist quasi auf halbem Weg stecken geblieben. Das sollten die Historiker sauber herausarbeiten.

Das Dollfuß-Porträt aus dem ÖVP-Klub hängt nun in St. Pölten im Haus der Geschichte. Warum hing es überhaupt im Klub?

Die ÖVP hat sich immer als eine Partei mit enormem Österreich-Bewusstsein gesehen, die den Unterschied zu Deutschland gelebt und zum Ausdruck gebracht hat.

Dollfuß hing dort also als Opfer des Nationalsozialismus?

Er war der erste politische Repräsentant Österreichs, der von den Nationalsozialisten ermordet worden ist, und ein früher Vertreter eines Österreich-Bewusstseins. Jetzt ist man auf einem guten Wege, sich der Geschichte offensiv zu stellen. Jede Partei muss ihre Vergangenheit ordentlich aufarbeiten, den Antisemitismus zum Beispiel. Im Parlament gab es wüste Reden, nicht nur von Deutschnationalen.

Leopold Kunschak etwa, in dessen Namen die ÖVP einen wichtigen Preis vergibt.

Ich glaube, dieser Antisemitismus - auch bei Kunschak oder Renner - ist ein Makel an der Politik. Generell darf eine Sündenbock-Politik heute keinen Raum mehr haben.

Wird der Kunschak-Preis umbenannt?

Das wäre aus meiner Sicht notwendig, ja. Der ÖAAB Niederösterreich hat beispielsweise bereits reagiert und verleiht anstelle dessen eine Alois-Mock-Plakette. Ich weiß, dass man auch bundesweit darüber nachdenkt.

Was erwarten Sie sich von der FPÖ-Kommission zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte?

Ich warte auf das Ergebnis. Es ist notwendig und daran wird sie zu messen sein, wie sie mit ihrer Parteigeschichte und der Geschichte Österreichs umgeht.

Auch die Burschenschafter?

Es wird von jedem einzelnen Vertreter der Burschenschaften abhängen. Ich spüre aber die grundsätzliche Bereitschaft der FPÖ, sich dieser Geschichte zu stellen und auch die Gräuel des Nationalsozialismus so zu benennen, wie sie sind. Dass immer wieder Fälle auf den unterschiedlichsten Ebenen auftauchen, ist bedauerlich, aber es wird wie beim letzten Mal sehr schnell reagiert und die Konsequenzen werden gezogen. Das ist auch alternativlos.

Sehen Sie Fortschritte im Umgang mit der Geschichte?

Das Bewusstsein ist bei allen Parteien angekommen, dass sie so etwas auch nicht nur augenzwinkernd akzeptieren oder tolerieren können. Angesichts unserer Geschichte haben wir Österreicher hier eine besondere Verantwortung.

Sie haben ein überparteiliches Amt. Wie weit geht bei Ihnen die Distanz zur eigenen Partei?

Das ist der große Unterschied zum Bundespräsidenten. Der Bundespräsident ist durch Direktwahl wirklich als über den Parteien stehend zu sehen. Der Präsident des Nationalrats hat in Ausübung seines Amts im Parlament neutral zu sein. Ich bin und bleibe aber Mitglied der ÖVP und auch in ihrem Parlamentsklub. Ich habe dort auch ein ganz normales Stimmrecht wie jedes andere Mitglied. Ich bin in meiner Amtsführung neutral, agiere aber natürlich aus einer ideologischen und geistespolitischen Haltung heraus.