Es gibt kein Wahrzeichen in Berlin, das von den Bewohnern der deutschen Hauptstadt nicht mit einem Spitznamen versehen wurde. So trägt auch das Kanzleramt seine ortsübliche Verballhornung: Waschmaschine. Ob Kanzler Sebastian Kurz heute beim Antrittsbesuch einen Schonwaschgang erhält oder Kanzlerin Angela Merkel doch einen Schleuderkurs für ihren frischgekürten Amtskollegen aus Wien bereithält, ist noch offen. Immerhin gibt es einiges zu bereden – über die EU-Zukunft, die auch von der Vergangenheit bestimmt wird.

Spätestens seit dem Enthüllungsbuch „Die Getriebenen“ des Journalisten Robin Alexander über die Vorgänge während der Flüchtlingskrise in den Machtzentralen in Berlin, Wien und Budapest ist klar, Merkel und Kurz waren über lange Zeit erbitterte Widersacher in der Migrationspolitik seit September 2015. Alexander beschreibt ausführlich den Kampf zwischen den beiden um die Schließung der Balkanroute und die Kritik, die der damalige Außenminister an ihrem Kurs geübt hat. Nun ist die CDU-Chefin politisch so erfahren, dass sie den Chef ihrer österreichischen Schwesterpartei ÖVP nicht offensichtlich auflaufen lässt. Doch im Regierungsviertel ist es ein offenes Geheimnis: Die Kanzlerin vergisst nie und wer einmal bei ihr in Ungnade fällt, ist abgemeldet. Das mussten viele Weggefährten in der christdemokratischen Partei schmerzvoll erfahren. „Sie kann Rache kühl genießen“, sagt jemand aus dem weiteren Umfeld des Regierungslagers. Dass die beiden sich nicht sonderlich zugetan sind, ist schon an einem Bild festzumachen. Das einzige gemeinsame Foto ist auf dem Gipfel der Europäischen Volksparteien entstanden. Die Gesichtszüge sprechen Bände. Es mag auch daran liegen, dass Kurz eine enge Bindung zur CSU pflegt und Merkel mit ihrer bayerischen Schwesterpartei zuletzt eher in herzlicher Abneigung verbunden war.

Allerdings haben die beiden deutschsprachigen Regierungschefs auch starke gemeinsame Interessen. Berlin und Wien als Nettozahler dürften sich beim EU-Finanzausgleich näher sein als Kurz mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron. Die Reform der EU ist auch bei Merkel elementares Thema.

Kurz wird sich aber nicht nur mit Merkel treffen, morgen begegnet er Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, den er in der gemeinsamen Zeit als Außenminister als väterlichen Freund schätzen gelernt hat. Zudem wird Kurz bereits heute in der Talksendung „Maischberger“ in der „ARD“ auftreten. Am Abend dann gibt es ein Dinner auf Einladung des Springer-Verlages unter ihrem Chef Mathias Döpfner. Dazu kommen etliche Prominente aus Sport, Medien, Kultur und Wirtschaft, darunter der österreichische RB-Leipzig-Trainer Ralph Hasenhüttl.