1981 gab es die Sommergespräche im ORF zum ersten Mal. ÖVP-Chef Sebastian Kurz, gerade am Sonntag erst 31 Jahre alt geworden, war damals noch gar nicht auf der Welt. Seit seinem gestrigen Premierenauftritt hält Kurz einen Rekord. Durchschnittlich 1,034 Millionen Zuseher schalteten das Gespräch mit Moderator Tarek Leitner auf ORF2 ein. So viele waren es in der Geschichte der Interviewreihe noch nie. Selbst die Auftritte von Jörg Haider in den 1990er-Jahren waren nicht so gefragt.

Inhaltlich war das Gespräch freilich alles andere als rekordverdächtig. Zerfahren, oberflächlich, mühsam zum Zuhören. Ein taktisches Geplänkel, würde man in der Fußballersprache sagen. Oder „Kampf und Krampf“, je nach Perspektive. Der Schuldige dafür war bei den Kurz-Fans in den Sozialen Medien schnell gefunden: Moderator Tarek Leitner. Unhöflich, sei der gewesen. Den Gast ständig unterbrechend, zu lange Fragen stellend. Rotfunk-Alarm vom Feinsten! Dass Kurz auch das Seine dazu beitrug, in seinen Antworten vage blieb, ist mit der Fanclub-Brille natürlich schwer zu sehen.

Sebastian Kurz ist kein leichter Interviewpartner, mit seiner Eloquenz und seiner Fähigkeit, Gespräche in die von ihm gewünschte Richtung zu lenken. Leitner hielt gut dagegen, blieb sachlich, forderte immer wieder konkrete Antworten ein. "Sie beantworten meine Frage nicht", betonte er mehrmals. Ein wirklicher Gesprächsfluss kam so leider nicht zustande. Wobei das auch an etwas ausschweifenden Fragestellungen lag.

Kurz lächelte sich durch den Abend, wirklich souverän und gelassen wirkte er abseits seiner Lieblingsthemen - die Begriffe "Balkanroute" oder "Mittelmeerroute" fielen erstaunlicherweise kein einziges Mal - jedoch nicht immer. Bei detaillierten Nachfragen wirkte der ÖVP-Chef, der für einen neuen Politikstil wirbt, genervt wie ein routinierter Altpolitiker. Vor allem bei der Frage, wie die Steuerbelastung um 12 bis 14 Milliarden Euro reduziert werden soll, kam Kurz ins Rudern. Seine Fans hat er wohl auch mit diesem Auftritt bedient, obwohl es definitiv nicht sein bester war. Kurz, der als sehr akribisch und durchaus selbstkritisch gilt, wird das selbst wissen. Ein Grund zum Feiern ist das für die politischen Mitbewerber nicht, auch wenn das wiederum die SPÖ-Fans so sehen wollen. Zu souverän liegt Kurz in den Umfragen voran, viele Experten glauben, dass er bis zum Wahltag nur noch über sich selbst stolpern kann. Grobe Patzer hat sich Kurz bis dato jedenfalls nicht erlaubt, auch gestern nicht. Aber Christian Kern & Co. haben im Sommergespräch einen Favoriten gesehen, der auch seine offenen Flanken hat und in Sachthemen nicht immer sattelfest wirkt. Genau das ist die Chance für die anderen, hier müssen sie ansetzen. In unzähligen Live-Duellen können sie so versuchen, den mutmaßlichen Überflieger noch zu entzaubern.