EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn stellt der Türkei die Rute ins Fenster. Es sei an der Zeit, über "ein neues Format der Zusammenarbeit" mit der Türkei zu reden, sagte der Österreicher am Montag vor Journalisten in Brüssel. "Die derzeitige Situation ist nicht nachhaltig, weder für sie (Türkei, Anm.), noch für uns." Hahn will darüber beim Treffen der EU-Außenminister in Malta am Freitag reden.

Als Möglichkeit nannte Hahn ein Upgrade der Zollunion oder eine Änderung der Assoziierungsvereinbarung. Nach dem türkischen Verfassungsreferendum sei es "wirklich an der Zeit für eine Neubewertung der Beziehungen". Hahn sagte, die Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei bleibe zwar "eine Option", dafür müssten aber Bedingungen erfüllt sein. Er persönlich bevorzuge, die Türen offen zu halten. Die EU-Außenminister hätten klar ausgedrückt, dass derzeit keine neuen Kapitel mit der Türkei eröffnet werden könnten.

Hahn räumte ein, dass davon auszugehen sei, dass die Zahl der Türkei-Hardliner innerhalb der EU nicht größer geworden sei. Im Dezember hatte Österreich als einziger EU-Staat auf einer Aussetzung der EU-Beitrittsverhandlungen bestanden, so wie das auch das Europaparlament gefordert hatte. Derzeit sind 17 der 35 Verhandlungsbereiche blockiert, acht davon wegen der Weigerung Ankaras, das Zollprotokoll mit der EU auch auf Zypern anzuwenden.

"Keine Zeit verlieren"

"Lasst uns sehen, was die neue Art der Zusammenarbeit sein könnte", sagte der EU-Kommissar. "Ich suche nach einem rationaleren Ansatz in unserer Kooperation mit der Türkei, aber dafür brauchen wir auch die Türkei." Die Zusammenarbeit sollte auf den Interessen beider Seiten aufbauen. "Wenn (der türkische Präsident Recep Tayyip) Erdogan sagt, dass er nicht der Europäischen Union beitreten will, und viele in Europa derselben Ansicht sind, ist das okay. Warum sollten wir Zeit verlieren? Ich erwarte auch von Erdogan eine klare Aussage dazu, und dass er damit nicht spielt." Die EU und die Türkei würden "eine solide Zusammenarbeit" brauchen, die wieder Vertrauen herstelle.

Bemerkenswert ist, dass die Türkei nach den Spannungen der vergangenen Wochen jetzt von sich aus wieder anklopft bei Deutschland wegen Wirtschaftshilfen. Der türkische Vize-Premierminister Mehmet Simsek erklärt im Gespräch mit der "Bild", bereits beim Treffen der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer vergangee Woche in Washington hätten diese Möglichkeiten durchgespielt, wie man der Türkei aus der wirtschasftlichen Schieflage helfen könnte. "Dafür brauchen wir Deutschland."

Auch Türkei will zur Normalität zurückkehren

Es sei an der Zeit, zu einer Normalität in den beziehungen zurückzukehren, sagt Simsek gegenüber Bild. Erst kürzlich hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble eine Geldleistung wegen der Verhaftung des deutsch-türkischen Journalisten Deiz Yücel infrage gestellt.

Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) ist gegen ein Ende des Beitrittsprozesses mit der Türkei. Nach dem umstrittenen Verfassungsreferendum sprach er sich in einem Interview der Rheinischen Post (Samstag) gegen "Kurzschlussentscheidungen" aus.

Die mit der Türkei zu besprechenden Themen reichten von dem inhaftierten Journalisten Deniz Yücel über die Beziehungen mit der EU bis hin zum Konflikt in Syrien. "Deshalb werden wir nach dieser historischen Abstimmung in der Türkei von beiden Seiten die Gesprächsfäden mühsam einzeln wieder auflesen und zusammenfügen müssen", sagte Gabriel.

Es werde Beratungen über die Lage geben. Gabriel: "Aber letztlich ist es die Entscheidung der Türkei, ob sie sich noch weiter von Europa entfernen will. Mit unseren Bedenken, was die Entwicklungen der letzten Monate in der Türkei angeht, halten wir jedenfalls nicht hinter dem Berg. Das, was in der Türkei stattfindet, die Verhaftung von Abgeordneten, Oppositionellen, Journalisten, das entspricht ganz und gar nicht demokratischen Standards."

Der Chef der größten Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber (CSU), erhöhte im Streit über den Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei den Druck auf die EU-Staaten. "Der Abbruch der Gespräche sollte beim nächsten regulären Rat im Juni erfolgen", sagte EVP-Fraktionschef Manfred Weber unlängst dem Magazin "Der Spiegel".

Am 23. Juni treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel. "Wir werden im Parlament künftigen Vorhaben wie etwa zur Zollunion oder der Visa-Liberalisierung nicht zustimmen, solange das Verhältnis mit der Türkei nicht grundsätzlich geklärt ist", drohte Weber.

Das EU-Parlament hatte im November in einer nicht bindenden Resolution gefordert, die 2005 aufgenommenen, aber seit langem stillstehenden Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auf Eis zu legen. "Wir müssen eine der Lebenslügen in den Beziehungen zur Türkei jetzt beenden, nämlich die Idee, dass die Türkei Mitglied der EU werden kann", sagte Weber dem "Spiegel". Bisher hat sich der Forderung unter den 28 EU-Staaten nur Österreich angeschlossen.