Mit verschränkten Armen steht sie in einem Kinosaal in Wien, eingehüllt in einen hellen Mantel, der für Dezembertemperaturen viel zu dünn und einige Nummern zu groß ist. Soeben ist der Film "Die verrückte Welt der Ute Bock" mit Ute Bock in der Hauptrolle, Josef Hader, Karl Markovics, Dolores Schmidinger gelaufen, Hunderte Schüler sitzen vor ihr und stellen nun Fragen. Fragen über die Welt, über das Leben der Ute Bock. Sie lächelt verhalten, fast ein wenig listig in sich hinein, ihre hellwachen Augen fliegen über die Reihen, die ihm Halbdunkel vor ihr liegen. "Kann der Hund nit a dableiben, er kummt, glab i, aus der Tschechoslowakei", ist sie im Film von Josef Hader gefragt worden. Ute Bock, die Flüchtlingshelferin und letzte Adresse für all jene, die nirgendwo mehr unterkommen, mag solche Witze. Wie oft sie schon ans Aufhören dachte, ob sie an Gott glaube, was sie von Strache halte, ob sie Leute auch wegschicke, wird sie gefragt. Wenn einer mit dem Auto komme, sagt sie, schicke sie ihn weg. "Dem sag ich: Verkauf zuerst dein Auto. Und wenn er erzählt, wie schlecht es ihm geht, sagt ich: Erzähl das der Mizi-Tant." Über Strache meint sie, er sei für sie ein "ungezogener, rotziger Bua". Die Schüler applaudieren, einige rufen "Buh".

Seit acht Jahren vermittelt Ute Bock Obdachlosen, Asylwerbern in rund 50 über Wien verteilte Wohnungen Plätze zum Schlafen. Sie sei, hat Alexander Van der Bellen über sie gesagt, eine Heldin. Sie schüttelt unwirsch den Kopf. Sie sei keine Heldin, was sie mache sei eine Selbstverständlichkeit, wehrt sie schroff ab.

"Können Sie sich vorstellen, dass ich am Sandstrand liege?"

Sieben Tage sitzt sie Woche für Woche in ihrem Büro im "Ute Bock Verein" in Wien. Sie sammelt mit Zivildienern Kleidung für Asylanten, organisiert Sprachkurse. "Ich kann ja nicht sagen: Geh ham, i hab heut frei", antwortet sie auf die Frage, ob sie zwischendurch nicht Pausen, einen Rückzug brauche. Von acht bis zwei Uhr früh ist sie im Vereinshaus unterwegs. "Können Sie sich vorstellen, dass ich am Sandstrand liege?", fegt sie die Frage nach Erholung wie einen lästigen Brösel lachend vom Tisch.

Lachen und Aussehen täuschen. Jahrzehnte hat sie ein Heim für 80 schwerst erziehbare Jugendliche geleitet, einer wurde zum Mörder, einer hat sich umgebracht. "Das waren härteste Kaliber und ich habe viel nur deshalb im Keim ersticken können, weil ich immer rund um die Uhr anwesend war." Am Vortag hat sie einem Afrikaner harsch befohlen, mit der Polizei mitzugehen. Er sei doch ein Mann, hat sie zu ihm gesagt und versprochen, sich für ihn einzusetzen. "Wenn die Polizei", sagt sie seufzend, "ihn auf der Straße aufgegriffen hätte, wäre er geflohen, hätte sich gewehrt und alles wäre aus gewesen. Aber leider kann ich nicht überall sein."

Mahnungen

Auf ihrem Schreibtisch türmen sich Akten, Briefe, Rechnungen, Anzeigen wegen Schwarzfahrens, Mahnungen an rumänische Clans, die sich bei ihr im Vereinshaus anmelden und nie wieder blicken lassen. Sie zuckt mit den Schultern. "Ich bin nicht beleidigt, wenn mich jemand belügt. Das ist menschlich, ich gestehe jedem zu, das Beste herauszuholen. Da sag ich mir: Na, der lügt mich eben an."

Sie hat Sensoren für Lügen und Augen, die erkennen, wie schlecht es jemandem geht. "45 Jahre haben Leute versucht, mich über den Tisch zu ziehen. Das prägt. Wenn jemand sagt, er sei so arm und habe drei Tage nichts gegessen, tu ich immer blödeln. Dann sag ich: Na, dann würd´ ich mir das gar nicht mehr angewöhnen. Das kommt billiger." Kurz zuvor hat sie einer Mitarbeiterin eines Jugendamtes zornig erklärt, dass sie doch nicht von einer Asylwerberin 20 EuroStrafe fordern könne, weil sie ihr Kind um 15 Minuten zu spät vom Kindergarten abgeholt hat. "Das ist ein Ton wie in einer Strafanstalt, da kann ich mich aufregen und aufregen. Wer holt mit Absicht ein Kind zu spät ab?"

Schlafzimmer - einen Stock höher

Wenn sie um zwei Uhr nachts die Bürolampe abschaltet, geht sie einen Stock höher in ihr Schlafzimmer. Ihre Wohnung habe sie, erzählt sie, ihrem Neffen gegeben, sie brauche nicht mehr als ein Schlafzimmer. Das Zimmer gegenüber hat sie einem älteren rumänischen Juden, der mit einem Davidstern herumläuft, gegeben. Sie schüttelt verärgert den Kopf: "Ein Verrückter, der niemandem zuzumuten war und ich muss jetzt schauen, wie ich ihn weiter bekomme."

Wie sie mit aggressiven Hilfesuchenden umgeht? "Ich hab", sagt sie ruhig, "ein lautes Organ und wenn ich Angst hab, kommt sie erst hinterher." Sie überlegt, schaut ihre Brille an, die sie in ihren Händen hält und fügt hinzu: "Wenn ich oft nicht "schleich dich" gebrüllt hätte, hätte ich das nächste Mal ein Messer im Bauch gehabt." Nein, sagt sie, sie sei nicht die liebe Oma, wie manche meinen würden.

Härte und Misstrauen

Wie sollte sie mit ihrer Lebenserfahrung auch eine vertrauensselige Frau sein. Lieb und sanft kann sie dennoch sein, hinter all ihrer Strenge, Härte, ihrem Misstrauen. In der Vorwoche hat sie zwei Afrikaner aus einer ihrer Wohnungen entfernt, indem sie das Schloss austauschen ließ. Die Afrikaner hätten, erzählt sie, Drogen verkauft. "Aber du bist unsere Mama", haben die zwei wenig später in ihrem Büro um Hilfe gebeten. Ute Bock hat genickt und trocken gemeint: "Aber nicht Euer Trottel, schleichts euch."

Wie sie sich Tag für Tag motivieren kann? Sie zupft an ihrer braun-weiß-gestreiften Bluse, überlegt kurz, erzählt stolz von einem tschetschenischen Kind, das nach einem Jahr in Österreich in Englisch ein "Sehr gut" hat und meint: " Keiner hat sich ausgesucht, wo er zur Welt gekommen ist. Man muss helfen."

"Sehen Sie nicht, dass ich 150 Jahre alt werde?"

Fast grimmig schüttelt sie den Kopf, während sie erzählt, wie sie sich aufrege, wenn manche für Hilfe immer ein Danke erwarten würden. "Das ist ein furchtbarer Zugang, zu meinen, dass die alle immer dankbar sein müssen. Es ist schön, wenn einer einmal Danke sagt, aber jeder hat ein Recht auf Leben und muss dafür nicht Danke sagen." Sie beginnt leise zu lachen und meint: "Wissen Sie, ich weiß, was die Leut' über mich sagen: Die alte Schachtel, wie lange macht sie das noch." Sie nickt, als ob sie sich selbst bestätigen wolle und sagt: "Ich würd' mir das auch denken." Und strahlend antwortet sie auf die Frage, wie lange sie noch 365 Tage im Jahr Rumänen Meldescheine geben wird, Obdachlosen einen Schlafplatz organisieren wird: "Sehen Sie nicht, dass ich 150 Jahre alt werde?"