Felix H. bemerkte den dunklen Schleier auf einem Auge ausgerechnet an einem Feiertag. Für eine erste Diagnose blieb nur die Ambulanz der Uniklinik. Der diensthabende Spitalsarzt erklärte nach der Untersuchung, dass er das Problem letztlich beim niedergelassenen Arzt genau abklären müsse. Aber: Sowohl beim niedergelassenen Kassenfacharzt wie auch beim Ambulatorium der GKK ließ man Felix H. wissen: Auf einen Termin müsse er Wochen oder Monate warten. Daraufhin kontaktierte er einen Wahlarzt, zahlte privat drauf. Ende gut, alles gut? Mitnichten. Der Fall ist ein Paradebeispiel dafür, dass die Reform unseres Gesundheits- und des Kassensystems unumgänglich ist. Patienten werden im Kreis geschickt und auf der anderen Seite erklärt man ihnen, dass alles Medizinische möglich sei.

Die Geschichte dieser Lüge beginnt in den Bundesländern, wo Gebietskrankenkassen und Länder-Ärztekammern sich vielfach in einer Dauerpattstellung befinden. Kassen legen Mindestöffnungszeiten für Ärztepraxen fest, lassen aber eine gesamtheitliche Versorgung aus den Augen. Sie haben kein steuerndes Moment, außer Geld, keine gestalterischen Ideen, keine Innovationen, wie man Kassenärzte in strukturschwache Gebiete bringt. Und man arbeitet mit veralteten Leistungskatalogen.

Bei den niedergelassenen Kassenärzten ist man wiederum davon beseelt, dass man „freier Unternehmer“ sei. Nun ja, wenn es ein Kassenarzt nicht böswillig ungeschickt anstellt, kommen die Patienten in seinem Einzugsgebiet sowieso zu ihm. Das ist de facto ein Fixabnahmevertrag. Auf der anderen Seite treiben Kassen die Ärzte mit frequenzgetriebenen Honorarkatalogen in eine fragwürdige Art der Medizin. Wenn er verdienen will, muss er Masse machen. Aber je mehr ein Arzt arbeitet, desto höher sind seine Abschläge. In einem Ausmaß, dass sich längere Öffnungszeiten nicht rentieren.

Damit steigen die Wartezeiten. Die Patienten wandern deshalb in die Spitalsambulanzen ab, weil sie dort schneller untersucht werden. Die Kassen zahlen in Spitalsambulanzen jedoch nur gedeckelte Beträge. Das kommt für sie günstiger, als wenn der Patient zum niedergelassenen Kassenarzt kommt. Die Mehrkosten bei den Ambulanzen tragen nämlich die Länder. Die Konsequenz am Wiener AKH, zum Beispiel: Dort will man Patienten zukünftig abweisen, weil die Ambulanzen völlig überfüllt sind. Auch in anderen Bundesländern gibt es Pläne dieser Art.

Win-win für Zwei

Haben niedergelassene Ärzte die Nase voll von den frequenzorientierten Kassenverträgen, werden sie Wahlärzte. Auch hier können die Kassen sparen - und die Ärzte „echte“ freie Unternehmer sein. Eine Win-win-Situation für zwei, die im Clinch liegen, aber wenn es darum geht, das alte System zu verteidigen, auch Seite an Seite marschieren. Die Verknappung hat also System. Statt Qualität wird Quantität bezahlt. Das wäre genau jener Hebel, den man bei einer Reform ansetzen könnte. Aber viele Kassenfunktionäre sind keine Fachleute. Sondern sie sitzen auf politischen oder von der Gewerkschaft gestellten Tickets. Auch das macht das System reformresistent und starr. Lieber lenken manche Kassenfunktionäre mit klassenkämpferischen Diskussionen vom Thema ab: Ärzte würden zu viel verdienen, heißt es, wenn es darum geht, Tarifstrukturen aufzubrechen. Die Länder müssen machtlos zusehen. Selbst Primärversorgungszentren, die als Allheilmittel der zukünftigen Versorgung gepriesen werden, sind derzeit im Spannungsfeld Gebietskrankenkassen/Ärztekammer zu oft nur schwer durchzubringen.

Reform, jetzt? Die Pläne der Bundesregierung kann man so skizzieren: Es wird zusammengelegt, fusioniert, und es wird eine Österreichische Länder-Krankenkasse geben. Anstelle der bisherigen Führungsstruktur soll auf Bundesebene in der „Österreichischen Krankenkasse“ ein Verwaltungsrat kommen. Mit Bundesministeriums- und Ländergesandten. Auch auf Länderebene sollen Gebietskrankenkassen zurechtgestutzt werden und nur noch eine Servicerolle einnehmen.

Orientierungslosigkeit aller Beteiligten

Dass in der Reformdiskussion die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) in die Schlagzeilen geraten ist, beweist die Orientierungslosigkeit der Beteiligten. Die von Reformgegnern angeführte Zerschlagung der Spitäler war nie das Thema. Die AUVA ist selbst schon daraufgekommen, dass sie aus medizinischen Gründen alleine nicht überleben kann - und kooperiert in der Steiermark, in Kärnten etc. mit Landeskrankenanstalten. Die Frage, die sich stellt, ist eine andere: Brauche ich den ganzen Verwaltungsapparat, von dem der Patient nichts hat?

Denn die Mär von den günstigen Verwaltungskosten dürfte nicht zu halten sein. Zwar stellte die London School of Economics in einer Auftragsstudie fest, dass die Krankenkassen seit 2016 die Verwaltungskosten von 3,7 auf 2,7 Prozent und die Sozialversicherungen von 2,5 auf 2 Prozent gesenkt haben. Vergleicht man aber das deutsche, wesentlich umfangreichere Verrechnungssystem mit dem österreichischen Zahlenwerk, entdeckt man Erstaunliches: Der Verwaltungskostenanteil liegt nicht bei 2,7, sondern bei 5,9 Prozent. Gewisse Posten wurden einfach nicht als Verwaltungskosten berechnet. Originell sind auch manche Geldläufe: Eine Länder-Krankenkasse zahlt zum Beispiel für Bluttests im hauseigenen Labor wesentlich höhere Tarife als privaten Anbietern. Geld, das wohl besser in Patienten investiert worden wäre.

Was könnte helfen?

Aber was könnte den Patienten in Sachen Wartezeiten und Qualität helfen? Immer wieder wird der Österreichische Strukturplan Gesundheit (ÖSG) genannt, aber Fachleute bemängeln: Der Plan weise in Sachen evidenzbasierter Medizin Unschärfen auf, er sei nicht transparent, sondern de facto ein politischer Plan mit einem medizinischen Anstrich. Zu oft konzentriere man sich auf Mindestzahlen für Abteilungen, obwohl man in der modernen Medizin weiß, dass es nicht um Abteilungsgrößen, sondern um Fallzahlen geht.

Egal, die Bundesregierung hat ohnehin anderes vor. Sie will das Gesundheitssystem von der Finanzseite aus reformieren, die Finanzhoheit soll zentralisiert werden. Weil sich im System ein Eigenleben entwickelt hat. Es dreht sich zu stark um Partikularinteressen und um das eigene Budget statt um Patienten. So logisch damit die Pläne der Bundesregierung erscheinen mögen - man zäumt das Pferd von der falschen Seite auf. Statt festzustellen, was Menschen heute an medizinischer Versorgung benötigen und daraus einen Plan zu erarbeiten, konzentriert man sich auf die Finanzen. Man vergibt eine historische Chance. Und sorgt für politischen Zündstoff.

Föderalismus ein Auslaufmodell

Die Länder sehen es zwar mit Freude, dass sie mit den Reformplänen der Bundesregierung die Pattstellung zwischen Länderkassen und Länder-Ärztekammern aufbrechen können und damit das Sagen haben. Denkt man aber die Pläne mit allen Konsequenzen zu Ende, ist der Föderalismus ein Auslaufmodell. Wenn die Finanzierung so vereinfacht wird, dann wäre der nächste logische Schritt, die Spitalsplanung zentral zu übernehmen - damit wären auch die Länder Reformverlierer. Derzeit wehren sich die meisten Bundesländer noch immer gegen eine längst notwendige Zusammenarbeit und die Spitalszusammenlegungen an den Landesgrenzen. Sie bevorzugen es, ihre Ortskaiser zu bedienen. Um die Chimäre aufrechtzuerhalten, dass man alles Medizinische bis in den letzten Winkel anbieten kann. Bei der aktuellen ärztlichen Spezialisierung ist das unmöglich.

Im Reformprozess fehlen wissenschaftliche und medizinische Erkenntnisse sowie die Transparenz. Dafür braucht es Experten und Fachleute, keine Hobby-Funktionäre. Es bedarf Politiker, die zuhören und den Ernst der Lage verstehen. Und den Mut haben, Reformen durchzusetzen, auch wenn diese bedeuten würden, die nächste Wahl zu verlieren. Anders wird dieses Gesundheitssystem eine gewisse Qualität nicht halten, geschweige denn verbessern können.