Parteichef Christian Kern übt im Vorfeld der 1. Mai-Feiern scharfe Kritik an ÖVP und FPÖ. "Die Bundesregierung führt Österreich in die falsche Richtung." Große Zukunftsprojekte würden nicht angegangen, stattdessen gebe es ständig Geschenke für Großunternehmen. In der Auseinandersetzung zwischen liberalen und illiberalen Demokratiemodellen kippe Österreich zunehmend auf die Seite des "Orbanismus", sagte Kern im APA-Interview.

Er werde deshalb bei den 1. Mai-Feiern der SPÖ "eine klare Perspektive zeichnen, wofür wir stehen und wie die politische Alternative der Sozialdemokratie für eine gerechtere und ausgeglichenere Welt aussieht". In der Frage des Gesundheitssystems gebe es von der Regierung etwa keine Antwort auf die Frage des Ärztemangels, sondern ein 500-Millionen-Geschenk für Großbetriebe, so Kern in Anspielung auf die geplanten Einsparungen bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA), die zu niedrigeren Versicherungsbeiträgen bei Unternehmen führen sollen. "Das Geld wird im Gesundheitssystem bitter fehlen." Bei der Pflege verweigere die Regierung die Finanzierung.

Was die Parteichefs am "Tag der Arbeit" arbeiten

Sozialversicherungen

Statt Geldgeschenken an Unternehmer und Wegschauen bei Sozialbetrug - "da steckt natürlich die ÖVP dahinter" - sollte man lieber in Bildung und den Ausbau von Kinderbetreuung und Ganztagsschulen investieren, so der SPÖ-Chef. Kritik übt Kern auch der von der Regierung angestoßenen Privilegiendebatte bei den Sozialversicherungen. "Was da passiert ist, ist wirklich schändlich. Einen Wischzettel mit bösartigsten Anschuldigungen zu verbreiten, der im Wesentlichen aus Verleumdungen besteht, ist eines Kanzlers und eines Vizekanzlers wirklich unwürdig. Ich fordere die Regierung auf, mit dem Anpatzen dieser Institutionen aufzuhören."

Dass die Regierung nun wie unter Schwarz-Blau I mit dem damaligen ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel auf das Motto "Speed kills" setzt, sieht Kern nicht so. "Der Unterschied zur Schüssel-Ära ist, Schüssel hat eine Reihe von Dingen vorgeschlagen und umgesetzt. Jetzt reden wir über viele Dinge." Es gebe zu den meisten Themen keine Konzepte von ÖVP und FPÖ, sondern nur Überschriften. "'Pressekonferenz kills' ist das neue Motto der Regierung, aber nicht 'Speed'."

Verhältnis zur FPÖ abgekühlt

Das Verhältnis zur FPÖ sieht Kern nach der rot-blauen Annäherung von eineinhalb Jahren deutlich abgekühlt. "Da hat wirklich noch einmal eine Entwicklung stattgefunden, die mit der Positionierung der FPÖ in der Regierung zu tun hat. Es gibt eine echte Machtübernahme der deutschnationalen Burschenschafter, und es gibt antisemitische Ausritte."

Die Angriffe auf den liberalen US-Milliardär George Soros seien etwa ein "Code von Antisemiten". Und wenn FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache darauf wie beim jüngsten Ö1-"Klartext"-Gespräch mit Kern mit dem Vorwurf des "Brunnenvergifters" reagiere, sei auch das ein antisemitischer Code. "Da gibt's dann zwei Möglichkeiten: es ist kapitales Unwissen oder es ist politischer Vorsatz. Ich unterstelle ihm kein Unwissen. Diese Partei gleitet zunehmend ab und übernimmt eins zu eins die Politik der ÖVP, dafür dass sie ein paar Jobs mit deutschnationalen Burschenschaftern besetzen dürfen. Früher hat man gesagt, sozialpolitisch würde man zwischen SPÖ und FPÖ Parallelen finden können. Die kann ich nicht mehr erkennen. Sozialpolitisch aber auch demokratiepolitisch könnte die Distanz wahrscheinlich nicht größer sein."

Auf die Frage, wie er dann mit einer rot-blauen Koalition im Burgenland leben könnte, meint Kern, dass das unterschiedlich zu bewerten sei. "Im Burgenland hat Hans Niessl das im Griff. Das läuft nicht so wie im Bund. Da wird nicht jeden Tag Einer antisemitischer oder rassistischer Ausführungen überführt. Die inserieren nicht in Neonaziblättern. In der burgenländischen FPÖ ist einer von sechs der Abgeordneten ein Burschenschafter, während hier im Parlamentsklub die FPÖ mehr deutschnationale Burschenschafter als Frauen hat. Das ist wirklich durchseucht und durchsetzt von einer Ideologie, die autoritär und deutschtümelnd ist. Ich halte das für einen Geheimbund, der die Staatsinstitutionen unterwandert."

Neuer Wiener Bürgermeister

Christian Kern setzt große Erwartungen in den neuen Wiener SPÖ-Chef und künftigen Bürgermeister Michael Ludwig. "Wir haben die Zusammenarbeit neu ausgerichtet. Wir sind noch einmal ein gutes Stück enger zusammengerutscht. Ich bin optimistisch, dass es vor dem Hintergrund gelingen wird, Wien zu verteidigen und gemeinsam eine starke Opposition zu bilden", sagte Kern vor dem 1. Mai im APA-Interview.

Ende einer Ära: Michael Ludwig folgt Michael Häupl als Wiener Bürgermeister
Ende einer Ära: Michael Ludwig folgt Michael Häupl als Wiener Bürgermeister © APA/GEORG HOCHMUTH

Den Eindruck, dass er rund um die Wahl des Wiener SPÖ-Chefs Klubobmann Andreas Schieder und nicht Ludwig unterstützt habe, weist Kern zurück. "Nein, das haben immer nur die Zeitungen geschrieben. Das hat sich dann verselbstständigt und wurde weiter erzählt. Der Bundesvorsitzende ist aus gutem Grund angehalten, sich hier nicht direkt einzumengen. Meine Aufgabe ist es, die Partei zusammenzuhalten und nicht sie zu spalten. Ich kenn beide Kandidaten lange, Michael Ludwig seit 30 Jahren, und ich habe ihn als seriösen, ernsthaften, überlegten Mann schätzen gelernt, der ein sozialdemokratischer Zentrist ist, aber sicher kein Rechter."

Auf die Frage, ob Ludwig "sein Mann" sei, meint Kern: "Absolut. Wir müssen uns gegenseitig unterstützen und das funktioniert auch sehr gut. Man hat das bei der Kopftuchdebatte gesehen, da gab es einen Abstimmungsprozess und am Ende eine gemeinsame Parteilinie, die durchgesetzt wurde, und so wird es bei den anderen Themen auch sein."

Im derzeit stattfindenden Spiel der Regierung gegen Wien werde man die Stadt gemeinsam gegen die ungerechtfertigten Angriffe verteidigen. "Da wird ja so getan, als ob Wien Gotham City wäre und an jeder Ecke das Verbrechen lauert. Natürlich gibt es Probleme, die muss man auch angehen, das passiert jetzt. Michael Ludwig hat einen frischen Blick auf die Herausforderungen." Dem scheidenden Bürgermeister Michael Häupl streut Kern Rosen. "Das ist das Ende einer Ära. Michael Häupl hat große Verdienste um die Stadt." Die werde man bei der 1. Mai-Feier der SPÖ auch entsprechend würdigen.

Angesprochen auf Missstände wie die Kostenüberschreitungen und Bauverzögerungen beim Krankenhaus Wien-Nord, weist Kern auf die von Ludwig eingeleiteten Maßnahmen hin. "Michael Ludwig hat zu Recht eine Kommission eingesetzt, um zu prüfen, was passiert ist und wie man das zu einem guten Abschluss bringt. Das Krankenhaus Nord ist keine Erfolgsgeschichte, aber wir haben in Niederösterreich, wenn sie sich Grafenegg oder die Gartenschau Tulln anschauen, auch ein paar Projekte gehabt, da hat man 100 bis 120 Prozent mehr gezahlt als ursprünglich geplant. Das ist nicht gut gelaufen, das muss man ändern, aber es gibt mehr als genug Beispiele im restlichen Bundesgebiet. Die Attacken, die von ÖVP und FPÖ kommen, sind politisch leicht durchschaubar."

Wichtige Rolle in der Bundespolitik

Kern geht davon aus, dass Ludwig in der Bundes-SPÖ eine ähnlich gewichtige Rolle spielen wird wie zuvor Häupl. "Der Wiener Vorsitzende hat eine große Bedeutung. Das ist ganz klar. Die wird auch Michael Ludwig logischerweise ausfüllen." Ludwig soll beim nächsten Parteitag auch zu einem der Stellvertreter auf der Bundesebene gewählt werden.

Beim Oktober-Parteitag soll darüber hinaus das neue Parteiprogramm der SPÖ sowie eine Organisationsänderung beschlossen werden. Ziel ist laut Kern eine Öffnung der SPÖ. Diskutiert wird noch, ob der SPÖ-Vorsitzende künftig in einer Art Urabstimmung von allen SPÖ-Mitgliedern und nicht nur von den Parteitagsdelegierten gewählt werden soll. "Das ist eine heftig diskutierte Fragestellung. Ich persönlich bin ein echter Anhänger, möglichst viele Mitglieder mitsprechen zu lassen".

Kern hätte keine Angst, sich so einer Abstimmung zu stellen. "Nein, ganz im Gegenteil. Ich habe eine große Zuneigung zu unseren Mitgliedern. Die Frage ist halt immer, wie schaffst du es, einen Prozess aufzusetzen, wo nicht erst recht wieder nur eine kleine Elite dabei ist. Dann sind es statt 1.000 Leuten 2.000 Leute. Dann hast Du auch nichts gewonnen." Die britische Labour-Partei sei in dieser Frage aber ein "interessantes Vorbild", so der SPÖ-Chef.