Mit 1. Juli 2018 sollte ein Gesetz in Kraft treten, das Menschen mit Behinderung mehr Autonomie und Selbstbestimmung bringen sollte. Die Regierung plant offenbar eine Verschiebung dieses Erwachsenenschutzgesetzes mit der Begründung, dass das Geld dafür fehlt. Das Gesetz sei Gegenstand "der laufenden Budgetverhandlungen". Mehr könne man dazu nicht sagen, hieß es aus dem Justizministerium.

Behindertenorganisationen und die SPÖ sind empört. Für die Volksanwaltschaft ist eine Verschiebung der Umsetzung des Erwachsenenschutzgesetzes nicht vorstellbar. "Das kann ich mir nicht vorstellen. Das ist nicht nachvollziehbar", sagte Volksanwältin Gertrude Brinek im Gespräch mit der APA am Montag.

"Finanzierung zugesichert"

"Die Finanzierung wurde vor einem Jahr zugesichert. Ich gehe davon aus, dass das gesetzeskonform umgesetzt wird", so Brinek. Das Erwachsenenschutzgesetz, mit dem die pauschale Besachwalterung von Menschen mit Beeinträchtigungen durch abgestufte Formen der Vertretung mit mehr Autonomie und Selbstbestimmung ersetzt wird, "war das größte gesellschaftspolitische Projekt der vergangenen Legislaturperiode im Justizbereich".

Österreich sei vom Ausland kritisiert worden, weil hierzulande zu viele Menschen besachwaltet und damit entmündigt seien. Das Gesetz müsse wie geplant am 1. Juli in Kraft treten. "Auf eine andere Variante will ich mich gar nicht einlassen", sagte Brinek.

"Es ist erschütternd, welchen Stellenwert die Bundesregierung den Rechten von Menschen mit Behinderung einräumt. Nach der Festlegung zum Ausbau der Sonderschulen und der Beibehaltung des bloßen Taschengeldes in Werkstätten wäre dies ein weiterer massiver Rückschlag in der Behindertenpolitik", kritisierte Behindertenanwalt Hansjörg Hofer. Er hoffe, dass sich die Regierung noch zu einer anderen Entscheidung bewegen lässt. Hofer wies darauf hin, dass die beabsichtigte Verschiebung noch eines Gesetzesbeschlusses bedürfe.

"Empörend"

Als "empörend" bezeichnete es Liste-Pilz-Klubobmann Peter Kolba, "dass diese Regierung beschlossene Gesetze offenbar reihenweise wieder ändern, abschaffen oder verschieben will". Im konkreten Fall des Erwachsenenschutzgesetzes sei das "ein Schlag ins Gesicht all jener Menschen mit Behinderung, die - entgegen allen Hoffnungen - nun weitere Jahre 'besachwaltet" bleiben sollen".

NEOS-Justizsprecherin Irmgard Griss übte ebenfalls Kritik: "Das Sachwalterrecht ist mittlerweile über 30 Jahre alt und längst nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Die Reform, die letztes Jahr einstimmig im Nationalrat beschlossen wurde, hätte nun endlich ein flexibles Sachwalterrecht gebracht, das die Freiheit und Selbstbestimmung betroffener Personen bestmöglich schützt. Es ist unverständlich, warum die ÖVP-FPÖ-Regierung nun einen Rückzieher macht." Griss fordert die Regierung auf, die Umsetzung nicht länger hinauszuzögern.

Eine Verschiebung des Gesetzes würde bedeuten, dass eines der Vorzeigeprojekte zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Österreich infrage gestellt würde, sagte Christina Wurzinger, Vorsitzende des Unabhängigen Monitoringausschusses zur Umsetzung der UNO-Konvention.

Im Vorjahr einstimmig beschlossen

Das Gesetz, das im Vorjahr von allen Parteien im Parlament einstimmig beschlossen wurde, sollte das 30 Jahre alte Sachwalterrecht ablösen. Damit sollte die Handlungsfähigkeit von Menschen mit Behinderung nicht mehr pauschal eingeschränkt werden. Es sind abgestuft Formen der Vertretung vorgesehen, je nachdem, in welchem Ausmaß ein Mensch Unterstützung benötigt. Die Kosten dafür hätten heuer 9,5 Mio. Euro betragen und wären in den nächsten Jahren kontinuierlich gesunken, 2019 auf acht Mio., 2020 auf sieben und 2021 auf nur mehr zwei Mio. Euro. Die Anfangskosten ergeben sich durch den Personalmehrbedarf, der allerdings bis 2022 durch den Abbau von gerichtlichen Erwachsenenvertretungen weitgehend zurückgehen wird, heißt es im Vorblatt zum Gesetz.

Die Behindertenvertreter sollen dem Vernehmen nach Montagfrüh von der Regierung darüber informiert worden sein, dass das Gesetz aus Geldmangel um zwei Jahre verschoben werden soll. Im Bundeskanzleramt und im zuständigen Justizministerium war für die APA vorerst niemand für eine Stellungnahme erreichbar.

"Schlag ins Gesicht für die Betroffenen"

"Das angebliche Hinausschieben auf den St. Nimmerleinstag des Erwachsenenschutzgesetzes ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen und jener, die seit Jahren für dieses Recht auf selbstbestimmtes Leben gekämpft haben", kritisierte Ulrike Königsberger-Ludwig, SPÖ-Sprecherin für Menschen mit Behinderung. "Diese Menschen haben offenbar keinen Stellenwert mehr für diese Bundesregierung." Mit ihrem Vorhaben lege die Bundesregierung "gesellschaftspolitisch wieder den Rückwärtsgang ein", so die Abgeordnete.

"Was in den letzten Tagen die Runde macht, erschreckt uns nachhaltig", zeigte sich Monika Schmerold vom Verein "Selbstbestimmt Leben Österreich" entsetzt. Mit einer Verschiebung des Gesetzes "blieben rund 60.000 Personen im alten System der Sachwalterschaft gefangen", so Schmerold, die nachdrücklich auf Österreichs Verpflichtung im Rahmen der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen hinweist.

Bei der Staatenprüfung Österreichs zur Einhaltung der Konvention, im Jahr 2013, sei das System der Sachwalterschaft massiv kritisiert worden. Wenn das so bliebe, würde sich Österreich bei der nächsten Staatenprüfung 2019 "vollends blamieren". Zuerst werde von der Regierung der Ausbau der Sonderschulen angekündigt und nun die Beibehaltung der Sachwalterschaft, zeigt man sich bei "Selbstbestimmt Leben" empört und fordert, "von dieser unsinnigen Idee Abstand zu nehmen und diese Menschenrechtsverletzungen nicht zu prolongieren".