Sie haben Angela Merkel während der Flüchtlingskrise für ihren Kurs hart kritisiert. War das bei dem Antrittsbesuch als Kanzler noch spürbar?

Kurz: Wir sind Nachbarn und Partner, haben in sehr vielen Punkten ähnliche Ansichten. Aber gerade unter Nachbarn ist es auch legitim in der einen oder andern Frage unterschiedlicher Meinung zu sein. Ja, in der Flüchtlingsfrage hatten wir teils unterschiedliche Zugänge. Aber die deutsche Linie hat sich über die vergangenen Jahren so wie in vielen anderen Staaten auch deutlich verändert. Aus meiner Sicht gab es hier einen Schwenk in die richtige Richtung.

Merkel hat nach dem Gespräch gesagt, es gibt wenig Trennendes. Was trennt denn am stärksten? Die Obergrenze?

Kurz: Ich sehe vor allem gemeinsame Ziele innerhalb der Europäischen Union und sehr viele Bereiche, wo wir an einem Strang ziehen. Wir sind beide Nettozahler. Wir sind beide Länder, denen es wichtig ist, wettbewerbsfähig zu bleiben und ein starker Wirtschaftsstandort zu sein, damit Wohlstand auch zukünftig in Europa erwirtschaft werden kann. Und natürlich gibt es auch Themen wie die deutsche Maut oder den Transitverkehr durch Tirol, wo wir unterschiedlicher Ansicht sind. Aber es ist auch gut, solche Fragen unter Nachbarn offen zu besprechen.

Merkel hat zur Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die PKW-Maut nach ihrem Gespräch gesagt, man „habe gestaunt, nachdem Österreich uns gelehrt hat, was eine Maut ist“. Wie heikel ist das Thema?

Kurz: Wir haben unterschiedliche Ansichten, was die Rechtskonformität dieser Regelung betrifft. Wir beschreiten hier den Rechtsweg auf europäischer Ebene. Unsere guten Beziehungen halten das aus.

Wie reagiert die Kanzlerin auf Ihren Vorschlag, Flüchtlinge in einen geschützten Ort außerhalb der EU zu bringen?

Kurz: Ich glaube, dass es in Deutschland das klare Bewusstsein gibt, dass an einem ordentlichen Schutz der EU-Außengrenzen kein Weg vorbei führt. Und wenn wir unsere Grenzen schützen und illegale Migration stoppen, dann müssen wir Menschen, die sich illegal auf den Weg machen, woanders Sicherheit bieten. Und nachdem das meiner Meinung nach nicht innerhalb Europas sein sollte, braucht es sichere Zonen außerhalb Europas. Wenn man das nicht tut, bedeutet es, dass sich Menschen weiterhin illegal auf den Weg machen. Wenn diese nach Europa durchkommen, werden sich noch mehr Menschen auf den Weg machen und damit auch immer mehr Menschen auf dem illegalen Weg nach Europa umkommen.

Was war den rückblickend der größte Fehler in Berlin während der Flüchtlingskrise?

Kurz: Es ist falsch, nur auf die deutsche Regierung zu blicken. Bei der großen Mehrheit der Politiker in der EU war der Glaube vorhanden, dass die Politik der offenen Grenzen und die Verteilung der Menschen in Europa, die Flüchtlings- und Migrationskrise alleine löst. Ich hatte von Anfang an eine andere Position und war mit meiner Meinung damals in der Minderheit. Aber mittlerweile ist meine Position in fast allen Staaten der EU mehrheitsfähig geworden.

Hat man das Problem unterschätzt?

Kurz: Ich glaube, dass viele Regierungen wie auch Verantwortliche in Brüssel die Migrationsfrage anfangs unterschätzt haben.

In den Sondierungsgesprächen in Berlin ist von einer von einer finanziellen Stärkung der EU und einem neuen Transfer von Steuergeldern die Rede. Sie wollen hingegen sparen und mehr Effizienz. Haben Sie mit Merkel den Widerspruch aufgelöst?

Kurz: Wir haben über das Thema gesprochen und ich bin froh, dass die deutsche Kanzlerin ein Interesse an einer engen Abstimmung der Nettozahler hat. Meine Position ist hier klar. Wenn die EU kleiner wird durch den Brexit, damit ein wesentlicher Teil der Bevölkerung, aber auch ein wichtiger Nettozahler wegbricht, dann kann die Antwort nicht einfach sein, dass das Budget in einer kleineren EU gleich bleiben sollen. Man muss zunächst darüber nachdenken, wie sparsamer und effizienter mit dem Geld der europäischen Steuerzahler umgegangen werden kann.

Haben Sie mit Merkel auch ähnliche Ideen gefunden, wie das sparsamer werden kann?

Kurz: Die Bundeskanzlerin erachtet es so wie ich für richtig, auch das Subsidiaritätsprinzip zu stärken. Das heißt, dass sich die EU auf Themen fokussiert, wo es ein mehr an Zusammenarbeit braucht, wie beim Schutz der Außengrenzen. Und dort, wo Mitgliedsstaaten oder Regionen besser alleine entscheiden können, nicht alles bis ins kleinste Detail zu regeln.

Sie sehen sich als Brückenbauer zu den Visegrad-Staaten, die von Brüssel zuletzt viel kritisiert wurden. Ist es aus Ihrer Sicht nicht wichtig, hart zu bleiben, um die Grundwerte der EU nicht preiszugeben?

Kurz: Was Rechtsstaatlichkeit und Demokratie betrifft, habe ich eine ganz klare Linie und bin auch der Meinung, dass diese Grundwerte nicht verhandelbar sind. Aber in anderen Fragen wäre es gut, wenn man diesen Staaten nicht mit einer moralischen Überlegenheit begegnet - sondern unter anderem in der Migrations- wie auch in anderen Fragen sachliche Diskussionen führt und ihnen auf Augenhöhe begegnet. Wenn uns das gelingt, wird es auch gelingen, Spannungen, die in der EU entstanden sind, wieder abzubauen.

Eine Hauptfurcht in Deutschland und vielen anderen EU-Staaten ist die Koalition mit der FPÖ. Sie verweisen auf ihr europafreundliches Regierungsprogramm und fordern, ihre Koalition an den Taten zu messen. Dennoch gibt es selbst in Österreich viel Kritik an rechtsradikale Fehltritte aus der Partei. Und auch jetzt spielt die FPÖ offensichtlich weiter mit dem Feuer mit bewusst missverständlichen Äußerungen wie die von Innenminister Herbert Kickl, Flüchtlinge an einem Ort "konzentriert zu halten". Was haben Sie mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache für Sanktionen vereinbart, wenn Teile der Partei aus dem Rahmen fallen?

Kurz: Wir haben ein gutes Regierungsprogramm verhandelt, das nicht nur proeuropäisch ist, sondern auch das Ziel formuliert, dass Österreich einen positiven Beitrag zur Weiterentwicklung der EU leistet. An dieses Programm sind beide Parteien gebunden. Ich vertraue darauf, dass es von allen Mitgliedern der Bundesregierung getragen wird. Ich bin daher sehr optimistisch was die Zusammenarbeit betrifft.

Und wenn das nicht funktioniert?

Kurz: Wenn sich jemand etwas zu schulden kommen lässt, dann wird es natürlich Konsequenzen geben. Auch Heinz-Christian Strache hat in seiner Partei in den letzten Jahren immer wieder hart durchgegriffen bis hin zu Ausschlüssen aus der FPÖ.

Innenministerium und damit die Geheimdienste stehen jetzt unter Kontrolle der FPÖ. Im Regierungsprogramm wurde eine neues nachhaltiges Miteinander mit Russland vereinbart. Ein Wunschthema der Freiheitlichen. Bereitet es Ihnen keine Kopfschmerzen, dort ein Einfallstor ohne ihre direkte Kontrolle zu haben?

Kurz: Wenn man jemanden unterstellt, Daten illegaler Weise weiterzugeben, dann unterstellt man auch ein strafrechtlich relevantes Verhalten. Das sollte man nur tun, wenn jemand Anlass dazu gegeben hat. Dass wir politisch ein Interesse daran haben, dass es wieder ein geordnetes Verhältnis der EU zu Russland gibt, dass es langfristig Frieden in Europa nur mit- und nicht gegen Russland geben kann, das ist richtig. Das bedeutet noch lange nicht, dass widerrechtlich Daten weitergegeben werden oder das wir wegsehen, wenn Völkerrecht gebrochen wird.