In der aktuellen Debatte wird oft zu den Schweizer Nachbarn geschaut. Kritiker wenden jedoch ein, dass die Schweizer vernünftiger abstimmen, als es die Österreicher tun würden. Stimmt das?

VEIT Dengler: Ich halte nichts davon, hier mit kulturellen Differenzen zu argumentieren. Die direkte Demokratie ist in der Schweiz schlicht über lange Zeit gewachsen. Volksabstimmungen waren in der Zeit nach ihrer Einführung vor etwas mehr als 100 Jahren auch noch eher selten. Und vor bundesweiten Abstimmungen gab es zuerst zahlreiche auf Gemeindeebene. Direkte Demokratie muss man einfach üben. Es ist wichtig, das als längeren Prozess zu sehen.

FPÖ und ÖVP scheinen nicht üben zu wollen, sondern Volksabstimmungen gleich im Bund erleichtern zu wollen.

Überstürzt man die Sache, wäre Anlassgesetzgebung die Folge. Irgendein Thema taucht auf, es werden schnell Unterschriften gesammelt und dann entscheidet man in der Hitze des Gefechts etwas, wozu es sonst nicht gekommen wäre. In der Schweiz vergehen zwischen Initiative und Abstimmung in der Regel zwei Jahre. Es ist besser, wenn ein Thema abkühlt und sich die Menschen damit auseinandersetzen können.

Wo sollte die Hürde liegen: bei vier oder zehn Prozent?

Derzeit gibt es in der Schweiz eine Diskussion über die aktuelle Hürde von 100.000 Unterschriften. Vor 100 Jahren war sie bei drei Millionen Schweizern noch hoch, bei acht Millionen ist sie heute sehr niedrig. Man sollte generell darauf achten, dass die Zahl der Abstimmungen nicht ausartet. Das kann sonst zu einer Inflation und damit zu einer Senkung der Wahlbeteiligung führen.

Kritiker befürchten, dass Medienkampagnen den Ausgang beeinflussen könnten. Zu Recht?

Kampagnen von Medien und Verbänden gibt es in jeder Demokratie. Aber das Level an Information ist in der Schweiz ein anderes. Bei jeder Abstimmung erhält der Bürger ein eigenes Büchlein, in dem das Thema erklärt wird. Es ist neutral formuliert, am Ende findet sich aber eine Abstimmungsempfehlung der Regierung.

Der Österreicher Veit Dengler war CEO der Schweizer NZZ-Gruppe